Klick zum Glück
(Wilhelm Castun)

Lutz Rathenow gilt als engagierter Vielschreiber. Wofür engagiert‚ wird in diesem bunten aber doch nicht etwa zusammengewürfelten Kurzprosa-Buch beim ersten Lesen nicht so recht deutlich. Ich erfuhr im Netz‚ daß der Autor bei einer Lesung in einer Greizer Buchhandlung geäußert habe‚ wir liefen gegenwärtig Gefahr‚ »uns in eine virtuelle Höhle zurückzubewegen«. Da denkt man an das Titelstück der Sammlung. Hier droht ein internetsüchtiger Mann seine Frau zu verlieren. Die Frau zerreißt jedoch die bereits aufgesetzte Scheidungsklage‚ nachdem sie einen Lapsus in seinem Mailverkehr bemerkt‚ der sie in sehr merkwürdiger Weise menschlich anrührt. Sie besorgt sich einen Laptop und lädt ihn elektronisch ins Schlafzimmer ein. Der Held ist irritiert‚ und die Ehe gerettet.
Überhaupt scheint der Autor dem weiblichen Geschlechte allerlei therapeutische Fähigkeiten zuzutrauen. In einer Kindheitserinnerung an den staatstreu karriereorientierten Vater und die kritische Mutter behandelt er beide Seiten versöhnlich‚ im Mittelpunkt steht das Zauberwort vom »Westen«‚ das in der DDR eine irrationale Projektionsfläche der Sehnsucht war. Bei einer Lesung in Solingen bekennt der Autor‚ daß ihn vor allem die Literatur zur Kritik geführt habe. Dafür ist auch der Prosa-Band ein beredtes Zeugnis. Hier spricht keine Zorneswut auf den untergegangenen Staat‚ sondern einer‚ der selbst dem abgehalfterten DDR-Offizier‚ auf dessen Kosten sich wirkliche oder angebliche Opfer profilieren‚ eine Stimme gibt. Er will erzählen‚ und er stellt eine Wirklichkeit dar‚ die eben keine Ideologie war‚ sondern ein Agieren zwischen Absicht und Zufall‚ Offiziellem und Persönlichem‚ Törichtem und Klugem. Diese Wirklichkeit ist für den Autor literarisch‚ ein Geflecht von Handlung und Erinnerung‚ Reflexion und Ironie. Dazwischen Träume und Grotesken‚ fliegende Blätter‚ die in eine Geschichte münden oder auch nicht. Seiner Machart ist nicht leicht auf die Spur zu kommen‚ und ich will glauben‚ daß er ihr selber nicht auf die Spur kommt. Ihn faszinieren die Menschen in ihrem Bemühen‚ sich zu verstellen oder auch ehrlich zu sein‚ ihn fasziniert sein unruhiges Berlin‚ dessen gemeinsamer Nenner es ist‚ keinen zu haben. Er sucht keine Lösung und preist keine‚ er stellt Menschen zwischen Hoffnung und Furcht dar‚ zwischen Erwartung und Langerweile. Die Zeit vor dem Fall der Mauer korrespondiert mit dem heute. Aber die Unterschiede scheinen nicht dort zu liegen‚ wo man sie vermutet‚ und jeder Versuch‚ sie fest und faßlich zu machen‚ scheitert an Einwänden einer subtilen Stimme. Diese Stimme scheint mir das zu sein‚ was der Autor die Faszination der Literatur nennt. Solange die nicht verstummt‚ dürfen wir weiter gespannt sein.

Rathenow‚ Lutz: Klick zum Glück. Prosa. 2010. 95 S. ISBN 978-3-86160-332-0 Wartburg Verlag Kt. 11‚– €

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