Der Mensch und die Technik
(Daniel Bigalke)

Mit dieser Neuausgabe liegt wieder eine oft vergessene Schrift Spenglers vor‚ die auf einen Vortrag des Frühjahrs 1931 zurückgeht und zu seinen späten Büchern zählt. Der Leser dieser kleinen Schrift zeigt vor sich selber‚ daß er nicht den brennenden Fragen seiner Zeit entweicht. Diese Fragen‚ sich in Spenglers Zeit andeutend‚ haben heute erst ihre von ihm prophezeiten Konturen angenommen.
Das ruhelose Streben des westlichen Menschen nach dem Höheren‚ nach der Überwindung von Entfernungen gipfelt im westlichen Expansionsdrang der Technik‚ in der Raumfahrt und der Computerwelt‚ dem Arbeiten in eng gesetzten Prozeßzeiten. Das »Ich« fiel mit dem Willen Gottes zusammen‚ entfiel zugleich der geborgenen Gotteskindschaft und rückte die faustische – Spenglers Synonym für abendländische – Willenskultur und ihre Zivilisation in den Mittelpunkt.
Spengler spricht im »Untergang des Abendlandes« erstmals vom »Problem der Zivilisation«. Zivilisation kann hier als erste Phase der Dekadenz charakterisiert werden. Die Assoziationen der modernen Industriegesellschaft (Technik‚ Urbanisierung‚ Metropolitismus‚ Materialismus‚ Utilitarismus) sind aber auch Eigenschaften der Zivilisation‚ einem Zustand des äußeren‚ seelenlosen‚ intellektualistischen und zweckrationalen Daseins‚ welcher im Gegensatz zu Kreativität‚ Moral‚ Disziplin‚ Demut‚ Heroismus und zur Religion steht.
Oswald Spengler bezeichnet die Technik als »Taktik des Lebens«‚ in deren Zusammenhang an die Stelle der echten Religion früherer Zeiten nun die platte Schwärmerei für die »Errungenschaften der Menschheit« tritt‚ womit eigentlich nur die »Fortschritte der arbeitersparenden und amüsierenden Technik« gemeint sind. Anschließend untersucht Spengler die Entwicklung der Technik in Kombination mit derjenigen des Menschen. »Was ist der Mensch? Wodurch ist er zum Menschen geworden?« Spenglers Antwort: »Durch die Entstehung der Hand. Das ist eine Waffe ohnegleichen… Zum Raubtierauge‚ das die Welt theoretisch beherrscht‚ tritt die Menschenhand als praktische Beherrscherin… Kein anderes Raubtier wählt die Waffe. Der Mensch aber wählt sie nicht nur‚ sondern er stellt sie her nach eigener persönlicher Erwägung. Das ist die Befreiung vom Zwang der Gattung‚ etwas einzigartiges in der Geschichte des gesamten Lebens auf diesem Planeten.« Der Mensch ist damit Natur und Widernatur‚ mit der Natur verbunden und ihr zugleich entbunden – Spengler spitzt zu: »Der Mensch ist ein Raubtier«‚ was für ihn ein Maximum an Freiheit und Schaffenskraft bedeutet. Der Mensch fühlt durch die Bildung einer gegenständlichen Welt mit seinen Sinnen zugleich die eigenständige Welt in sich – die Seele. Diese Einsamkeit der Seele macht das Raubtier unabhängig von der Natur. Der Mensch ist Schöpfer seiner eigenen Lebenstaktik geworden. Sein Ich kann sich vom Wir befreien‚ sich gegen andere richten. Der Haß als das »eigentliche Rassegefühl der Raubtiere« setzt aber voraus‚ daß man den Gegner achtet. Interessant ist hier die Unterscheidung Spenglers zwischen »Gegner«‚ den man anerkennt‚ und »Feind«‚ dessen Vernichtung man erstrebt.
Zum Ausgang seiner kleinen Schrift sieht Spengler nach dem Aufstieg nun das Ende der Maschinenkultur: »Die steinerne Stadt wird erfunden als das Gehäuse des ganz künstlichen‚ von der mütterlichen Erde getrennten‚ vollkommenen‚ gegennatürlich gewordenen Lebens‚ die Stadt des wurzellosen Denkens‚ welche die Ströme des Lebens vom Lande an sich zieht und verbraucht.« Zugleich ziehen wirtschaftliche Verarmung ein‚ geistige und künstlerische Degeneration. So verwundert es nicht‚ daß Spengler die faustische‚ westeuropäische Kultur als die vielleicht nicht letzte‚ sicherlich aber als die gewaltigste‚ leidenschaftlichste darstellt‚ welche durch ihren »inneren Gegensatz zwischen umfassender Durchgeistigung und tiefster seelischer Zerrissenheit« die tragischste von allen Kulturen sei. Es ließe sich hier an die Zerrissenheit des seismographischen Gespürs eines Hölderlins denken‚ der als deutsches Beispiel genau daran zerbrach.
Nirgends habe also der Gegensatz unversöhnlichere Formen angenommen als in der faustischen Kultur‚ in der das stolze Blut der Raubtiere sich zum letzten Male gegen die Tyrannei des reinen und verwaltenden Denkens auflehne. Die faustische Kultur besitzt dabei den Willen zur Macht‚ der alle Grenzen von Raum und Zeit überwindet‚ die Erdteile unterwirft‚ sein Verkehrs- und Nachrichtensystem global ausweitet. Diese Kultur der Zivilisation neige sich nun dem Ende zu. Sie wird zum Gefängnis für die Seele des Menschen. Sie wird Opfer der eigenen Erfindungen. Sie schlägt in ihr Gegenteil um. Zwei Gefahren drohen nach Spengler: Die »Meuterei der Hände«‚ also der Ausbruch des Klassenkampfes‚ und der »Verrat der Technik«‚ d.h. der Export fortschrittlicher Technik in andere Länder. Zur Gewinnmaximierung wurde die Technik globalisiert. Die ausgebeuteten Konsumenten nehmen diese auf‚ werden aber zu selbstbewußten eigenen Produzenten. Mit dem Luxusleben des Westens bleibt die Industrie nicht mehr konkurrenzfähig – der Ausverkauf des Abendlandes beginnt. Wir brauchen heute nur einen Blick nach China und Indien werfen.
Ein letztes Mal läßt Spengler seine prophetische Gabe spielen und ermahnt eindringlich: »Das Schwergewicht der Produktion verlagert sich unaufhaltsam‚ nachdem der Weltkrieg auch der Achtung der Farbigen vor den Weißen ein Ende gemacht hat. Das ist der letzte Grund der Arbeitslosigkeit in den weißen Ländern‚ die keine Krise ist‚ sondern der Beginn einer Katastrophe.« Die empirischen‚ arbeitsmarktpolitischen und demographischen Daten deuten in diese Richtung. Spengler sieht keine Lösung: »Auf dem verlorenen Posten ausharren ohne Hoffnung‚ ohne Rettung‚ ist Pflicht. Ausharren wie jener römische Soldat‚ dessen Gebeine man vor einem Tor in Pompeji gefunden hat‚ der starb‚ weil man beim Ausbruch des Vesuv vergessen hatte‚ ihn abzulösen. Das ist Größe‚ das heißt Rasse haben. Dieses ehrliche Ende ist das einzige‚ das man dem Menschen nicht nehmen kann.« Es geht ihm also um ein ethisches Verständnis von Rasse‚ kein biologisches. Die synoptische Betrachtungsweise‚ seine vergleichend morphologische Methode‚ die unterschiedlichen Erscheinungen der Weltgeschichte parallel darzustellen‚ zeugen von Spenglers Credo‚ daß das Schicksal des Menschen nur verständlich ist‚ wenn man alle Zweige seines Wirkens zugleich betrachtet. Und dennoch: Spengler bleibt pragmatisch: »Ich bin kein Pessimist – Nein. Pessimismus heißt: keine Aufgaben mehr sehen. Ich sehe so viele noch ungelöst‚ daß ich fürchte‚ es wird uns an Zeit und Männern für sie fehlen.«

Spengler‚ Oswald: Der Mensch und die Technik. Beitrag zu einer Philosophie des Lebens. 2011. 88 S. ISBN 978-3-926370-43-3 Arnshaugk Kt. 8‚– €

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