Heimat ist ein Paradies (Georg Pfeiffer)Viktor Streck hat den zweiten Teil des auf drei Bände angelegten Romans im Selbstverlag vorgelegt.
Frank Uffelmann Deutscher aus dem sibirischen Omsk kommt in die elfte Klasse des Kant-Gymnasiums einer deutschen Kleinstadt. Er ist engagierter Christ und Anhänger Immanuel Kants dessen unbedingtem Gebot immer und unter allen Umständen die Wahrheit zu sagen er folgen will. Dies führt – insbesondere wegen seines ungebrochenen Verhältnisses zu Volk und Heimat – zu den voraussehbaren Verwicklungen. Es kommt zu einer heftigen Diskussion im Geschichtsunterricht. Die Lehrerin wittert sofort die braune Gefahr und die Anti-Rechts-Mechanismen kommen in Gang.
In diesem Roman gelingt es dem Autor ein überaus präzises und facettenreiches Bild vom gesellschaftlichen und geistigen Klima in Deutschland zu zeichnen. Er zeigt uns allzu bekannte Zeitgenossen die ihre eigene Kenntnisarmut durch Engagement und Haß wettzumachen suchen und überall »rechte Tendenzen« riechen die sich keiner Diskussion stellen sondern eine solche entweder mit dem Hinweis auf Experten oder auf angeblich drohende gesellschaftliche Folgen jeder Relativierung abwürgen.
Daneben schildert der Autor ein Vertreibungsgeschehen in Rußland am Ende der zwanziger Jahre. Der Bezug zur Haupthandlung ist am Ende des zweiten Bandes noch nicht ganz klar der Gang dieser Nebenhandlung ist erschütternd.
Eine weitere Nebenhandlung zeigt das Schneeballsystem einer Versicherungsgesellschaft die gerade die Bevölkerungsgruppe der Spätaussiedler aus Rußland ins Visier genommen hat. Willi Lech ein subalterner aus Sicht der neu geworbenen Aspiranten aber großartig erfolgreicher Statthalter des Systems ist lose mit Uffelmanns Freundin Anna verbunden und macht sich wohl Hoffnungen auf mehr steht aber unter der strengen Kontrolle von Annas Vater. Alexander ein Rußland-Deutscher der von Uffelmann über die Mechanismen des Schneeballsystems aufgeklärt wurde wendet sich aber von diesem nicht ab sondern scheint entschlossen dem System ein Schnippchen zu schlagen. Welche Pläne Annas Vater der seine Tochter sehr liebt letztlich mit ihr hat bleibt am Ende des zweiten Teiles unklar. Sicher ist nur daß ihm die Verbindung zu Frank Uffelmann gänzlich unpassend erscheint.
Auch andere Knoten sind bereits geschürzt aber noch nicht aufgelöst und nähren die Ungeduld des Lesers auf den dritten Band. Da ist zum Beispiel der Schuldirekter ein nüchterner und respektabler Mann der von der Verwirrung in der Kleinstadt nicht nur in der Schule sondern auch in seiner Familie bedrängt wird. Sein Sohn Sebastian steht vor schweren Entscheidungen. Er ist mit dem Farbtopf in der Hand neben Hakenkreuzschmierereien ertappt worden die er nicht angebracht hat. Vorher hatte er ein Boxtraining begonnen um sich gegen die ständige Bedrohung durch türkische und arabische Mitschüler verteidigen zu können. Das ihm pädagogisch verordnete Anti-Gewalt-Training in der nahen Kreisstadt brachte ihm außerdem einen Freund bei dem Anzeichen auf eine kriminelle Laufbahn hindeuten.
Nur einer der Hauptheld Frank Uffelmann muß sich nicht entscheiden. Bei ihm steht alles fest. Er hat feste theologische philosophische und politische Überzeugungen – ein feststehendes Weltbild. Das ist der Glaubwürdigkeit und Lebendigkeit der Figur nicht eben zuträglich. Er ist der rein positive Held ohne Fehl und Tadel ohne Fragen ohne Zweifel ohne Entscheidung – aus dramatischer Sicht eigentlich langweilig. Anfechtungen für ihn kommen nur von außen und er besteht sie souverän. Dostojewskis »Idiot« mag hier Pate gestanden haben in dem Sinne daß Streck den »idealen Konservativen« den »ganz und gar schönen Menschen« schildern wollte. Wenn das der Maßstab ist wäre er aber gescheitert. Die Schilderung des Helden ist außerordentlich konventionell ja klischeehaft geraten: natürlich trägt Uffelmann immer einen »etwas altmodischen Anzug« mit Bügelfalten und Krawatte ordentlich gescheitelte Haare und alle äußeren Anzeichen der Biederkeit. Er verfügt über umfassendes ja abschließendes historisches und theologisches Wissen parliert souverän über Wagner Kant sowie Kunst Literatur und Philosophie im allgemeinen. Nur ein deutscher Denker kommt in seiner Fülle nicht vor: Friedrich Nietzsche – er kann nicht vorkommen weil er sich mit einem widerspruchsfreien Weltbild nicht verträgt.
So merkwürdig fade wie der Held wirkt auch die Wanderung die er organisiert. Sie verläuft wie am Schnürchen. Kaum aus dem Zug gestiegen kommen sie ins Gespräch mit einem Bauern bei dem sie ihre Zelte aufschlagen und an einer alten Feuerstelle ihr Lagerfeuer entzünden können. Auf dem Weg sehen sie einige Soldatengräber und sofort machen sie die Frau ausfindig die sie angelegt hat und ihnen die denkwürdige Geschichte der dort begrabenen jungen Soldaten erzählt. Und am nächsten Morgen – wer hätte das gedacht – lädt der Bauer die Wanderer ein und bewirtet sie mit einem guten Frühstück. Auch die Liebesgeschichte zwischen Frank und Anna wirkt in ihrer bewußten und gewollten Konventionalität merkwürdig lau.
Schließlich ist es schade daß sich für diesen Roman anscheinend kein Verlag gefunden oder der Autor auch die Hilfe eines Verlages verschmäht hat. Über der Wahl des Titels und der Gestaltung des Einbands über satztechnischen Details und stilistischen Eigenarten drängt sich der Eindruck auf daß ein wohlmeinender Lektor dem Buch insgesamt sehr gut getan hätte.
Aber die Kritik wiegt gering gegenüber den Verdiensten des Autors: Er hat auf überzeugende Weise Immanuel Kant aus der wolkigen Höhe der Abstraktionen direkt in unseren Alltag geholt und deutlich gemacht welche Forderungen sein Erbe an uns stellt. Er hat außerdem klare Hinweise darauf gegeben daß es keine religiösen Wahrheiten sind die unsere PriesterInnen und BischöfInnen verkünden wenn sie »gegen Rechts« predigen. Außerdem hat er ein sehr lebendiges Bild davon gezeichnet welchen Gefährdungen Anfechtungen und Verführungen unsere Jugend ausgesetzt ist.
Streck Viktor: Heimat ist ein Paradies. Roman. 2. Aufl. 2007. 568 S. ISBN 978-3-00-020745-7 VSV Verlag Gb. 1990 €
Streck Viktor: Auf verschlungenen Pfaden. Heimat ist ein Paradies Bd 2. 2010. 559 S. ISBN 978-3-00-032672-1 VSV Verlag Gb. 1990 €
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