Falkenlied
(Gisela Rein)

Es weckte mich des Vogels Schrei‚
der mich ans Fenster rief‚
und pfeilgeschwind schoß er vorbei‚
unter den Wolken tief.

Über den Großstadtdächern‚
zwischen Antennen und Rauch‚
grüßt mich der freie Vogel
und frei bin ich nun auch.

Es war der Jagdschrei des Falken‚
des kleinen Königs der Lüfte‚
vor dem alle Tauben fliehen
in ihre heimlichen Klüfte.

Du‚ Falke‚ bist mir heilig‚
du kämpfst mit offnem Visier‚
was stark und gewandt ist‚ entkommt‚
nur Schwache erliegen dir.

Mögen andere Tauben lieben‚
des Friedens sanftes Symbol‚
der kühne freie Falke
bleibt dennoch mein Idol.

Den Vogel des Friedens verleidet
hat mir einst jene Macht‚
die‚ stets vom Frieden redend‚
unsägliches Leid gebracht.

Es mußte in den Käfig‚
was fliegen wollte frei.
Das Lied von der weißen Taube
verkam zur Heuchelei.

Und während die Stolzen trotzten
hinter Mauern und Stacheldraht‚
vermehrten sich unsere Bonzen
wie die grauen Tauben der Stadt‚

die faul und krank sich mästen
an unseres Volkes Brot‚
und alles‚ was Wert hat‚ bedecken
mit ihrem ätzenden Kot.

Wir lebten zwischen Mauern
in stumpfer Agonie‚
Picassos weiße Taube
wurde fett und grau wie sie.

Bis das stumme Volk erwachte‚
das lange ihr Gurren gewiegt:
Es haben die grauen Tauben
die Falken nicht besiegt!

Drum schreibe dieses Lied ich‚
dir Falke zu Ehre und Lohn‚
denn einstmals brachtest du Grüße
meinem gefangenen Sohn.

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