Das blaue Licht
(Helmut Roewer)

Das Buch enthält eine Essay-Sammlung des Lyrikers und Theaterpoeten Uwe Lammla. Thematisch gruppieren sich die Beiträge nicht nur um Kunst in unterschiedlichen Ausprägungen‚ sondern auch dezidiert Politisches ist darunter. Die Sammlung ist breit angelegt‚ das Folgende kann also nur exemplarisch sein. Die folgende Auswahl entspricht den Interessen des Rezensenten. Daß dabei auch der Krieg zu Lammlas Denkwelt gehört‚ ist nahezu selbstverständlich‚ wie man sogleich sehen wird.
Doch zunächst zum Buchtitel. "Das blaue Licht" ist von einem ebenso benannten Beitrag über Leni Riefenstahl adoptiert. Auch das Titelbild stammt aus dem gleichnamigen Spielfilm von 1932‚ in dem die Riefenstahl als Filmemacherin wirkte und zugleich auch in einer Doppelrolle auftrat. Lammlas Beitrag beschränkt sich keineswegs auf eine Vielzahl künstlerischer Aspekte‚ sondern er unternimmt auch einen provokativen Ausflug in das Frauenbild des Dritten Reichs. Seine These: Das Heimchen am Herd habe keine Entsprechung in der Frau der NS-Propaganda‚ in der es gerade die im Beruf erfolgreiche Frau war‚ die mit gutem Grund herausgestellt wurde. Man ist geneigt‚ dies auf Anhieb abzutun‚ doch hier ist wohl zu trennen: Politische Führung‚ gar Soldatisches war tabu‚ anderes durchaus nicht. Eine ganze Reihe gefeierter Testpilotinnen deuten zum Beispiel in eine ganz andere Richtung. Es wäre wohl auch nützlich‚ einmal die Vielzahl der NS-Filme einer gezielten Betrachtung zu unterziehen. Doch zurück zu Lammlas Beitrag: In ihm mischt sich neben Biographischen zur Filmemacherin auch Grundsätzliches zu Thema Film‚ Filmschaffen als Kunstform und die Frage‚ wann eigentlich ein »Kulturschaffender«‚ wie es im DDR-Deutsch so plastisch hieß‚ eigentlich Künstler genannt werden darf‚ ja werden muß. Lammla verlangt hierfür einen besonderen Grad von Besessenheit.
Daran wird sich sicher mancher reiben. Denn wenn man diesen Maßstab auf den Helden des jetzt folgend besprochenen Beitrags zur Anwendung bringt‚ darf man zweifeln‚ ob wir bei diesem kühl kalkulierenden‚ die Worte wie aus dem Setzkasten entnommen setzenden Mann von einem Künstler sprechen darf. Die Rede ist von Thomas Mann. Und in der Tat: Hier geht Lammla ganz anders zur Sache. Die »Betrachtungen eines Unpolitischen« hält er für reine Camouflage eines Selbstgerechten. Jetzt geht es um den Krieg‚ den Ersten Weltkrieg wohlgemerkt‚ den T.M.‚ wie so viele seiner Zeitgenossen als Befreiungsschlag oder reinigendes Gewitter oder was auch immer begrüßt hatte. Das war auf kritische öffentliche Bemerkungen des Schriftstellerbruders Heinrich Mann gestoßen. Kritik dieser Art‚ das war T.M. unerträglich. Jetzt also mußte eine große Fundierung her‚ Krieg sozusagen im Oberbau und die Nation als solche‚ alles im Breitwandformat. Die Welt im Ungefähren und die Menschheit im Allgemeinen. Das also sind die Wurzeln dieses Werkes. Thomas ist der Meister‚ auch in diesem Sattel‚ der Meister von Belanglosigkeit und Langeweile.
Ich weiß schon‚ viele sehen den Dichter hier ganz anders‚ sehen in den »Betrachtungen« eher eine peinliche Entgleisung‚ die man dem in der Tat unpolitischen Mann nachzusehen habe‚ oder aber‚ ganz im Gegenteil‚ sie wollen T.M. gar der Garde der Konservativen Revolutionäre zuordnen. Ganz anders auch hier Lammla‚ er zeigt den Herrn des Sowohl-als-auch‚ den Angepaßten‚ den Sieger‚ will sagen‚ den Mann‚ der immer auf der richtigen Seite stand. Das hat was für sich. Ebenso wie man heute immer noch von Salonbolschewisten spricht‚ um einen von einer Idee begeisterten zu bezeichnen‚ der die Segnungen dieser Idee nicht am eigenen Leibe und Vermögen zu fürchten braucht‚ sprachen unsere Großväter von Heimatkrieger‚ wenn sie solche Typen im Blick hatten.
Eine dritte Stippvisite sei ins rein Politische gestattet. Es ist ein Ausflug in die Lager von rechts und links. Mittendrin die Figur des deutschen Diktators. An ihm dekliniert Lammla‚ was denn nun rechts und was doch wohl eher links an dem Mann selbst und an seinen Ideen und seiner Politik war. Er kommt zu dem Ergebnis: Hitler ein linker Revolutionär. Das ist viel weniger spinnig‚ als man spontan ausrufen möchte. Erheiternd erscheint dem Rezensenten der mögliche Hinweis an die Stammtische deutscher Schuldmenschen: Hallo Leute‚ der Führer ist einer von euch. Doch Spaß beiseite‚ lesenswert sind Lammlas Ausführungen auch dort‚ wo er die etablierte politische Rechte und deren Inkorporierung durch die NS-Führung beurteilt. Es ist das freiwillige Paktieren von Herrenreitern a la Papen und Co‚ die in völliger Verkennung ihrer Möglichkeiten glaubten‚ das wilde Pferd reiten zu können. Dabei waren sie‚ um im Bilde zu bleiben‚ nicht einmal in der Lage‚ nach dem Zügel zu greifen‚ ihr einziges Trachten war‚ nicht runter zu fallen.
In summa: Es handelt sich um eine Sammlung eloquenter konservativer‚ mitunter kantiger Zeitgeiststudien über Politik und Kunst. Es sind auch solche Beiträge enthalten‚ die über das Bauhaus handeln (das sein Fett wegkriegt)‚ über Richard Wagner‚ über Schwarzarbeit‚ die Position des Dichters im Kunstbetrieb und die Lust des Sokrates. Ein Buch von einer erstaunlichen Themenvielfalt ohne den üblichen Flachwitz und ohne Wiederholungen. Vieles lädt nachgerade zum Widerspruch ein. Eben deshalb: Lesenswert.

Lammla‚ Uwe: Das blaue Licht. Essays. 2014. 151 S. ISBN 978-3-944064-05-5 Arnshaugk Kt. 12‚– €

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