Umweltresonanz
(Karsten Herr)

Michael Beleites ist ein Spezialist für Dritte Wege: Zu DDR-Zeiten begab er sich‚ als Aktivist in der Demokratie- und Umweltbewegung‚ auf die Suche nach einem Ausweg aus den Sackgassen von Kapitalismus und Sozialismus – und kürzlich publizierte er mit dem Buch »Umweltresonanz« seinen Dritten Weg jenseits von darwinistischer Evolutionstheorie und biblischer Schöpfungslehre.
Natur und Ökologie (letztere als Lehre von deren Zusammenhalt‚ nicht bloß als »Umweltschutz« verstanden) sind die Lebensthemen des 1964 in Halle geborenen Zoologischen Präparators; ein Biologiestudium blieb ihm allerdings verwehrt‚ nicht zuletzt aufgrund seiner verdeckten Recherchen und nachfolgenden Veröffentlichungen zu den gesundheitlichen und ökologischen Folgen des Uranabbaus in der DDR. Nach der Wende‚ an der er als Berater des Neuen Forums und Mitglied des Bürgerkomitees zur Auflösung der Stasi beteiligt war‚ konnte er jedoch Agrarwissenschaften studieren und seine Forschungen dann sowohl theoretisch als auch im Rahmen seiner landwirtschaftlichen Tätigkeit praktisch betreiben. Die Stasi ließ ihn trotzdem nie ganz los: Von 2000 bis 2010 war er Sächsischer Landesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen und hatte manche Kämpfe mit jenen auszufechten‚ die über dieses Kapitel der jüngeren deutschen Geschichte lieber den Mantel des Schweigens breiteten – einige von ihnen haben heute höchste Staatsämter inne.
Obgleich Beleites im wesentlichen ein außerakademischer Forscher ist‚ der dem Universitätsbetrieb kritisch gegenübersteht – und darauf hinweist‚ daß die Etablierung wissenschaftlicher Theorien auch in den Naturwissenschaften von ideologischen Vorentscheidungen sowie der Vergabe von Posten und Geldern abhängt –‚ ist er alles andere als ein Laienforscher. Sein 700-Seiten-Werk entwirft die »Grundzüge einer organismischen Biologie« – so der Untertitel – auf einer akribisch ausgearbeiteten empirischen Basis‚ die sich Beleites‚ darin Charles Darwin nicht unähnlich‚ den er von seinem Sockel als Übervater der Evolutionslehre stürzen will‚ als Tierzüchter angeeignet hat.
Ein Hauptunterschied zu den Forschungen Darwins besteht allerdings darin‚ daß Beleites grundsätzlich zwischen Wild- und Zuchtformen von Tieren unterscheidet und darlegt‚ daß die Prinzipien der auf Mutation und Selektion beruhenden Evolutionstheorie lediglich unter künstlichen (Zucht- oder Labor-)Bedingungen gelten. Die Natur züchtet nicht – was man jedoch ebenso gegen die kreationistischen Gegenentwürfe zum Darwinismus einwenden muß: Auch diejenigen‚ die die mythischen Texte der Bibel aus einem wörtlichen Glauben heraus mißverstehen‚ bleiben dem Züchtungsparadigma verhaftet‚ wenn sie die Natur für das willentliche Produkt eines Schöpfers halten.
Beleites legt den Finger in zahlreiche Wunden des noch immer die Lehrstühle und Schulbücher beherrschenden Darwinismus und verweist auf die Unwahrscheinlichkeit einer bloß auf Mutation und Selektion beruhenden Naturgeschichte: Wie soll sich etwa ein rezessiv vererbliches Merkmal »durchsetzen« können‚ wenn es zunächst nur bei einem Individuum auftritt? Oder warum sollte es zufällig gleich an mehreren Individuen in Erscheinung treten‚ die sich dann auch noch gemeinsam fortpflanzen? Und was spricht dafür‚ daß eine zufällige Veränderung über eine Kette von Millionen von Nachfahren hin beibehalten wird‚ wenn sie erst‚ nachdem zahllose weitere zufällige und zunächst nutzlose Veränderungen eingetreten sind‚ in deren Zusammenwirken einen Selektionsvorteil nach sich zieht?
Auch die moderne Genetik‚ unter deren Paradigma die Evolutionstheorie heute auftritt‚ wird von Beleites einer strengen Kritik unterzogen: So kommt er zu dem Schluß‚ daß es – entgegen dem Dogma eines strikten Dualismus erblicher und erworbener Eigenschaften – auch eine graduelle Vererbbarkeit von Eigenschaften geben muß‚ die von den jeweiligen Umweltbedingungen verstärkt oder abgeschwächt werden.
Offensichtlich vollziehen sich natürliche Entwicklungen also nicht so‚ daß zunächst rein zufällig Veränderungen an isolierten Individuen eintreten‚ die sodann »im Praxistest« von der Natur überprüft und für gut befunden oder verworfen werden‚ sondern die Geschichte der Natur verläuft von vornherein interaktiv im Zusammenspiel von Umwelt und Individuum. Anstatt die Funktionen der Organismen auf Kampf und Konkurrenz zurückzuführen‚ wie der nicht zufällig im England des Frühkapitalismus entstandene Darwinismus‚ beruht Beleites’ organismische Biologie auf Systemeigenschaften von Arten und Ökosystemen‚ die anhand der neu entwickelten Kategorien von genetischer Kohäsion‚ dynamischer Erblichkeit‚ organismischer Integration und Umweltresonanz beschrieben werden. Selbstverständlich greift Beleites dabei auf zahlreiche andere Autoren‚ vornehmlich des »alternativen« Naturgeschichtsdiskurses von Goethe bis Hans Driesch‚ Jakob von Uexküll und vor allem Otto Kleinschmidt und Rupert Sheldrake zurück‚ dessen Theorie der »morphischen Resonanz« er kritisch weiterentwickelt; im Gegensatz zu den meisten »esoterischen« Autoren‚ die einen reduktionistischen Naturbegriff zurückweisen‚ mixt er allerdings keinen Wellness-Cocktail aus Ganzheits- und Nachhaltigkeitsessenzen mit – eher behutsam abgeschmeckten – naturwissenschaftlichen Zutaten‚ sondern seine Argumente sind stets empirisch belegt und werden in Anknüpfung an den Stand der Fachwissenschaften vorgetragen.
Auf den ersten Blick mag dies alles recht abstrakt und trotz des Alternativ-Anspruchs akademisch klingen‚ aber die Konsequenzen sind gleichermaßen bahnbrechend für die Biologie wie provokant auch im politisch-gesellschaftlichen Bereich: Beleites entzieht nicht nur der Wettbewerbslogik des Kapitalismus das Fundament‚ sondern auch dem Globalismus‚ der alles überallhin verfrachtet – Naturprodukte als Konsumgüter und Menschen als Arbeitsplatznomaden. Nicht nur Tiere‚ deren Wildformen stets vitaler sind als die nur unter unnatürlichen Bedingungen unselbständig lebenden Domestikationsformen‚ sondern auch Menschen sind in ihrer spezifischen Erscheinungsweise an ihre jeweilige Umwelt angepaßt. Dieser »Bioregionalismus« steht somit in doppelter Frontstellung sowohl zur traditionellen Rassenideologie‚ die an die Konstanz der Rassen trotz veränderter Umweltbedingungen und (sozialdarwinistisch) an die Unterwerfung der Umwelt oder schwächerer Rassen durch die stärkeren glaubte‚ als auch zur One-World-Ideologie‚ die die prägende (nicht determinierende) Kraft verschiedener Umwelten leugnet.
Beleites’ Theorie der »Umweltresonanz« stellt in ihrer Vielschichtigkeit also gleich mehrere Dritte Wege dar: biologische und ökologische sowie ökonomische und politisch-gesellschaftliche.

Michael Beleites: Umweltresonanz. Grundzüge einer organismischen Biologie. 2014. 688 S. ISBN 978-3-941094-13-0 Telesma Gb. 39‚80 €

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