Ergokratie
(Wilhelm Castun)

Seit der Bankenkrise ist Zinskritik wieder populär. Offensichtlich wird über weite Strecken‚ daß eine kleine Finanzelite nicht nur die Wirtschaft‚ sondern ganze Staaten und Völker ins Chaos stürzt und in verheerende Kriege führt.
Dieser Kritik mangelt es an überzeugenden Alternativen. Die Souveränitätsbewegung möchte die Abhängigkeit von den USA verringern und ein Bündnis mit Rußland. Gleichzeitig steigen vor allem in China neue Finanzmagnaten empor. Wenn Putin einzelne Milliardäre in einen Käfig sperrt‚ mag dies zwar eindrucksvoll sein‚ aber kaum als die wirkliche Lösung des Problems gelten.
Wer sich theorisch mit Zinskritik in der Volkswirtschaft beschäftigt‚ greift fast immer auf Sivio Gesell zurück. Wikipedia dokumentiert ihn breit‚ während Heinrich Färber mit ein paar dürren Worten abgetan wird‚ obwohl er‚ nach landläufiger Meinung‚ als galizischer Jude und Opfer der Deportation doch besondere Aufmerksamkeit verdient hätte. Das Buch erklärt diesen Widerspruch schlüssig: Silvio Gesell ist ein harmloser Spinner‚ Heinrich Färber ist eine ernstzunehmende Alterative zum System der Herrschenden.
Nachdem bisher nur eine kleine Anhängerschaft Einzelschriften Färbers in Heftchen publizierte‚ vereint diese Buchausgabe die wesentlichen Schriften des Denkers und erfolgreichen Unternehmers und bietet neben der Theorie auch Stellungsnahmen zu einer Fülle von Einzelfragen und Gegenargumenten. Die Lehre Sivio Gesells wird fundiert widerlegt und zwar nicht‚ wie schon an vielen Orten geschehen‚ im Angriff auf einzelne Kapriolen‚ sondern in Analyse des Schwundgeld-Systems‚ dem manche Anhänger Gesells großartige Leistungen im Mittelalter bescheinigen.
Färber entlarvt den Negativ-Zins als Täuschung. Sein zentraler Gedanke: Wenn die Wirtschaft auf Kredit fußt‚ wird für den Kredit immer ein Preis gezahlt werden‚ die Form mag variieren‚ aber dies trifft den Kern des Problems nicht. Das Übel ist nicht der Zins‚ sondern der Kredit. Und damit auch die Aktivseite des Kredits: das Sparen.
Das ist starker Toback: gegen das Sparen hat noch kein Volkswirtschafter gewettert. Es ist auch nicht das konkrete Ansparen einer konkreten Investition gemeint oder die sparsame Haushaltsführung im allgemeinen. Es geht um das Sparen ohne konkreten Zweck‚ das Anhäufen von Geld zum Machtgewinn. Das meint nicht nur die großen »Sparer«. Es meint auch die Altersvorsorge‚ als Idee‚ man könne mit gehortetem Geld die Jüngeren zwingen‚ den inzwischen Leistungsunfähigen durchzufüttern. Dies ist nun wirklich radikal – gilt es nicht als hochmoralisch‚ für das Alter zu sparen und deswegen niemandem zur Last zu fallen? Färber zeigt‚ daß hinter dieser Bewertung eine falsche Geldtheorie steckt. Wenn Geld ein Instrument der Arbeitsteilung ist‚ dann handelt es sich um Anteilscheine an der Volkswirtschaft. Eine krisenfreie Volkswirtschaft muß Verbrauch und Produktion im Gleichgewicht halten‚ die Anteilscheine müssen also beständig zirkulieren. Wer sie hortet‚ bringt den Austausch ins Stocken.
Eine echte Vorsorge wäre nicht das Zurückhalten von Anteilsscheinen‚ sondern das Schaffen von Anlagegegütern‚ etwa der Bau eines Hauses‚ das später Miete einbringt. Oder man bringt seinen Überschuß in eine Firma ein‚ die einen später ernährt‚ am besten am Ort‚ wo man persönlich die Aussichten und die Integrität des Unternehmers beurteilen kann. Die beste Altersversorgung sind freilich leibliche Nachkommen‚ in deren Bildung man investiert.
Färbers Schriften räumen mit der modernen Fetischisierung des Geldes auf. Wir erbauen uns zwar gern an Äußerungen eines Indianerhäupflings‚ man könne Geld nicht essen‚ verhalten uns aber im Alltag entgegengesetzt. Ein Umdenken‚ daß Geld wieder zu seiner eigentlichen Funktion zurückführt‚ hätte durchaus realpolitische Wirkungen.
In Färbers Schriften geht es freilich nicht nur um das Verhalten des »kleinen Mannes«. Der Autor hat in den krisengeschüttelten zwanziger Jahren mit den Finanzministern aller großen Nationen korrespondiert. Erfolglos. Man hörte auf die Propagandisten des Finanzkapitals‚ machte Konjunkturprogramme auf Pump und beschleunigte den Zug in die falsche Richtung. Färber diagnostiziert richtig‚ daß dies alles Wasser auf die Mühle des Bolschewismus sei.
Die Geldwirtschaft ähnelt als Revolution der Beherrschung des Feuers‚ der Mensch hat einen weiteren Schritt aus der Unmittelbarkeit des Tieres getan. Ihm wächst damit eine ungeheure Verantwortung zu‚ und es sagt eines über die »freischwebene Intelligenz« der Moderne aus‚ daß sie sich lieber mit der Sexualität und gar der Esoterik beschäftigt‚ als mit den fundamantalen Fragen‚ die zu unser aller Untergang Zauberlehrlingen überlassen werden.
Heinrich Färbers Schriften ist eine breite Rezeption und Diskussion zu wünschen. Der Rezensent ist überzeugt‚ daß es sich dabei um eine Schicksalsfrage handelt.

Färber‚ Heinrich: Ergokratie. Hauptschriften »Das Ergokratische Manifest« (1930)‚ »Die Irrlehre Silvio Gesells« (1934)‚ »Menetekel I-III« (1935/36/37)‚ »Ergokratie« (Nachlaß). 2015. 254 S. 978-ISBN 3-944064-36-9 Arnshaugk Gb. 24‚– €

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