Die Perle des Vogtlandes (Wilhelm Castun)Greiz zunächst zu den Vögten von Weida gehörig wurde 1449 von den Grafen von Reuß die seit 1306 in Greiz residierten in Unter- und Obergreiz aufgeteilt. Aus diesem Grund gibt es auch zwei Residenzschlösser in der Stadt. Erst 1768 vereinigten sich die beiden Linien wieder zur Grafschaft Reuß ältere Linie die 1778 zum Fürstentum wurde. Gerade in Thüringen war die territoriale Zersplitterung besonders groß und wurde auch während der napoleonischen Besatzung nicht beseitigt. Infolge davon gibt es auch kaum wo sonst so viele Kleinstätte als prunkvolle Residenzen. Zu dem Titel »Perle des Vogtlandes« kam Greiz nicht nur wegen der anmutigen Lage in einem Talkessel. Die Industrialisierung machte Greiz zu einem Zentrum der Textilindustrie und eines gediegenen Bürgertums. Der verheerende Brand von 1902 muß im Nachhinein geradezu als Glück bezeichnet werden denn er geschah auf dem Höhepunkt des ersten deutschen Wirtschaftswunders. Beim Wiederaufbau errichtete man repräsentative Jugendstilbauten die ein geschlossenes Ensemble bilden.
Der Autor dokumentiert mit schwarz/weißen Archivbildern die Entwicklung dieser »Perle« in den Jahren 1945 bis 1989. Die ästhetische Perfektion der Aufnahmen – wer bewahrt schon mißlungene Schnappschüsse auf – könnte das Buch leicht in »Ostalgie«-Verdacht bringen. Aber die Bildunterschriften sprechen eine deutliche Sprache. Auch das Titelbild mit eilenden Arbeitern an einer Straßenbahnhaltestelle macht klar daß es hier nicht um eine romantische Vorstellung geht. Die zehn Rubriken sind trefflich gewählt zunächst der Neuanfang nach dem Krieg dann das Bild der Stadt im ganzen dann der Park als besonders beliebte Oase der Greizer. Es folgen die Politik unter dem Titel »Inszenierung der Macht« das Arbeitsleben das kirchliche Leben künstlerische Traditionen und Sport. Das Kapitel »Alltag« zeigt die Kargheit der Zeit ob das nun schlafende Kinder auf Kindergartenpritschen sind Schrottsammler oder der erste Selbstbedienungsladen. Auch die Schaufenster der HO und eine Szene beim Fiseur zeigen keine Spur von Luxus. Im letzten Kapitel »Wendezeichen« sieht man Demonstranten vor heruntergekommenen und verdreckten Fassaden. Der Betrachter kann sich des Eindrucks nicht erwehren daß die Zeit zum Wechsel gekommen war.
Der Bildband ist mit Geschichten angereichert. So erfährt man von einem privaten Buchhändler der morgens einen jungen Mann auf der Schwelle findet. Er sei von Berlin nach Greiz getrampt weil er gehört habe Reiner Kunzes Buch sei hier noch zu haben. Da kann der Buchhändler von heute nur neidisch werden.
Alles in allem ein Buch über diese Zeit ohne Haß und Verklärung. Ich muß allerdings gestehen daß das Dokumentarische etwas hinter dem Kunstgenuß dieser photographischen Meisterwerke verschwindet.
Arenhövel Winfried: Greiz. Die Perle des Vogtlandes. 2. Aufl. 2010. 127 S. 240 Fotos. ISBN 978-3-89702-700-8 Sutton Verlag Kt. 1790 €
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