Heinrich von Kleist (Wolfgang Schühly)Friedrich Gundolf der 1911 mit einer Abhandlung über Shakespeare und den deutschen Geist habilitierte und sich sogleich einen Namen in der Literaturwissenschaft machte nimmt als Vertreter einer überzeitlichen Literaturdarstellung und auch als langjähriges Mitglied des George-Kreises einen festen Platz in der deutschen Geistesgeschichte ein. Die Wirkung seiner Abhandlungen und Vorlesungen auf seine Zeitgenossen war enorm sein breit angelegtes Werk geriet nach seinem Tode jedoch recht bald in Vergessenheit. Hinzu kam daß seine Bücher während der Hitlerzeit verboten wurden und sich nach dem Kriege die geistige Bewußtseinslage aus der heraus Gundolf schrieb nicht wiederherstellen ließ. In den Worten Victor A. Schmitz' führte »der Mißbrauch der Ideale die Gundolf vertrat zum Mißtrauen gegenüber seiner geistigen Welt
«. Dennoch gab es Versuche der Wiederbelebung seiner Schriften. Mit dem durch den Arnshaugk Verlag vorgelegten Band soll ein zentrales und vergriffenes literaturwissenschaftliches Werk Friedrich Gundolfs der Öffentlichkeit wieder zugänglich gemacht werden.
Der vorliegende Band Friedrich Gundolfs beinhaltet eine Würdigung der Dichtung Heinrich von Kleists dargestellt in Einzelaufsätzen zu Kleists Dramen aber auch zu seinen Erzählungen und Nebenwerken. Gundolf unterliegt mit seinen Betrachtungen nicht dem zum Scheitern verurteilten Versuch die kleistsche Problematik in reine Interpretationsbeliebigkeit aufzulösen sondern er sucht in der Person Kleist selbst den Grundstock für dessen Werk und das Substrat seiner Einmaligkeit. Seine nach dem Prinzip der Gestaltdeutung (Erich Berger) vorgehende Literaturbetrachtung zieht Kleists gesamte Natur mit in die Betrachtung ein und streicht so das autopoeitische Element seiner Dichtung heraus.
Gewiß mit Gundolfs Augen läßt sich heute wohl kaum noch ein Text lesen und interpretieren. Dafür fehlt uns heutigen –- neben der umfassenden Geistesbildung –- wohl auch der sprachliche Tiefgang sowie die Fähigkeit zur totalen Hingabe an den Gegenstand. Gundolfs Kleist ist wie auch seine anderen Aufsätze z.B. über Shakespeare und Goethe von außerordentlicher Brillanz; seine Begabung äußerst treffende und scharf umrissene Charakterbilder zu zeichnen legendär. Er spart auch dort nicht mit Kritik wo er in Kleists Werk ein Auseinanderfallen seines Seelenzustandes und seines Werkes ausmacht. Jedoch gelingt es ihm aber auch Zugang zu Kleists Werk dort aufzuzeigen wo kleistsche Eigenart und Stil landläufig als Barriere seiner Rezeption aufgefaßt werden.
Kurz dem Leser sei dieser literaturwissenschaftliche Streifzug der um Kleist kreist aber stets auf die Gesamtheit großer Dichtung bezug nimmt und so Kleists Werk in den literatur- und geistesgeschichtlichen Kontext einbettet wärmstens empfohlen. Niemanden der den ernsthaften Versuch unternimmt sich dem Phänomen Kleist zu nähern wird die Lektüre unberührt lassen.
Gundolf Friedrich: Heinrich von Kleist. 2011. 208 S. ISBN 978-3-926370-53-2 Arnshaugk Verlag Kt. 16– €
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