Das t�gliche Brot
(Wolfgang Sch�hly)

Dichter und Schriftsteller haben als Meister im Umgang mit der Sprache vieles gemeinsam‚ doch ihre schöpferische Potenz kommt in vielen Fällen jeweils nur in einem Genre zur vollen Entfaltung. Folglich besteht ein gewisser Gegensatz zwischen dem Dichter‚ der in der Form z.B. des Gedichts‚ des Epos oder der Ballade heimisch ist und einem Schriftsteller‚ der sich in Novellen‚ Romanen oder Kurzgeschichten ausdrückt. Bisweilen finden sich Dichter‚ die sich in ihren Briefen und Notizen über den Gegensatz von Dichter und Schriftsteller äußern. Wenn dies heute seltener als früher geschieht‚ dann vielleicht deswegen‚ weil es kaum Dichter im strengen Wortsinne gibt‚ für welche dieser Gegensatz in prägender Form offenbar wird. Sicher schreiben Dichter auch einmal einen Roman‚ während Schriftsteller auch einmal Verse schmieden‚ und ein Abstecher in das jeweilige andere Gebiet mag auch für die eigene Produktion fruchtbar ausgehen. Dies ändert aber nichts daran‚ daß es immer wieder reine Dichter gibt‚ die sich in einer archaischen Gestalt begreifen‚ welche die Griechen in der Gestalt des Orpheus archetypisch begreifbar gemacht haben.
Horst Lange (1904-1971) war ein solcher Dichter‚ für den das Orphische in der Dichtung schlechthin zum Leitstern wurde. Der Dichter‚ der dem Schriftstellerkreis der »Kolonne«‚ zu dessen Vorbildern Oskar Loerke und Wilhelm Lehmann zählten‚ angehörte‚ fand früh schon Zugang zu den Quellen seiner Inspiration: die Selbstreflexion‚ die angesichts des Zyklischen und Unbezähmbaren in der Natur in Willenlosigkeit mündet und die Preisgabe des Sicheren‚ Geformten und Bestimmten zugunsten einer existentiellen‚ von Sehnsucht geprägten‚ Seelenverfassung.
Auch wenn ihm erst sein Roman »Schwarze Weide« (1937)‚ ein u.a. von Gottfried Benn und Carl Zuckmayer hochgepriesenes Werk‚ zum öffentlichen Durchbruch verhalf‚ so zeigt doch schon die gesamte Lebenserscheinung Langes‚ daß es sich bei ihm um einen Mensch und Dichter von orphischer Erscheinung handelt. Sein jungenhafter und antibürgerlicher Lebenslauf‚ seine Unfähigkeit‚ sich einer klaren Ordnung zu unterwerfen‚ gleichzeitig aber auch seine frühe Schwärmerei für das Soldatenleben‚ die er später in der »Ulanenpatrouille« gestaltet hat‚ unterstreichen bereits diese orphische Ausrichtung. Die Flucht aus dem Elternhaus‚ das Dilettieren in der Malerei‚ die schwärmerische Liebe‚ all das sind Elemente eines Lebens‚ das sich mit Leidenschaft den jeweiligen Lagen stellt‚ aber auch die Leidensfähigkeit im Meer des Ungewissen schlechthin verkörpert. In einem Tagebucheintrag von 1941 (Waldlager‚ 1. X. 41) findet sich folgender‚ sein Leben erhellender‚ Passus: »Das Verschleierte und Verschwommene‚ das bis in meine Denkungsart und in meine Darstellungsweise reichte‚ schien mein eigentliches Element zu sein«. Die Ergebenheit in die Lage‚ das Erliegen des eigenen Willens angesichts des »Dunklen und Dämmrigen«‚ zeugen ebenfalls von seiner Persönlichkeit.
Auch seine Neigung zum Trunk gehört in die Kategorie des sich Entgrenzenden. So wird berichtet‚ daß er im Berlin der dreißiger Jahre regelmäßig mit zugehaltenem Mund aus der Kneipe getragen werden mußte‚ damit Ärgstes verhindert werden konnte. Ein Auge verlor der Unglückliche an der Ostfront. Nach dem Krieg hat ihm an jenem unseligen Abend im Elsaß niemand den Mund zugehalten‚ als sich Franzosen bei einer Sauftour brüsteten‚ wie tapfer sie den Deutschen standgehalten hätten. Er‚ der sich wieder einmal von der Situation hinreißen ließ‚ ging auf die Provokation ein‚ verlor das zweite Auge in einer sinnlosen Schlägerei und wurde blutend über die Schweizer Grenze geschleppt. Eine klare Stellung bewahrte er auch in vielen anderen Situationen. Auf Bechers Einladung nach Ostberlin reagierte er mit beißendem Hohn. Und Lange hauste mit seiner Frau‚ der Dichterin Oda Schaefer‚ in einer Hütte in Mittenwald und lehnte das Angebot ab‚ in Düsseldorf in die Villa eines verhafteten SS-Mannes einzuziehen‚ denn »Aus ander Leut Unglück kann niemals ein Segen entstehen.«
Von Horst Lange ist also heute nurmehr der Roman »Schwarze Weide« bekannt‚ der von Wolfgang Koeppen als »bedeutendste epische Aussage der Hitlerzeit‚ die mit dieser Zeit selbst nichts zu tun hatte« bezeichnet wurde. Ohne die Bedeutung dieses Romans zu schmälern‚ muß freilich betont werden‚ daß uns der eigentliche Horst Lange im Gedicht gegenübertritt. Hier verbirgt er sich nicht in schicksalsergebenen Romanfiguren seiner niederschlesischen Heimat‚ hier singt er sich aus. Wir sehen einen lebensfrohen Liebenden‚ einen grüblerischen Christen‚ einen Nonkonformisten vom Scheitel bis zu den Zehen. 1948‚ als seine »Gedichte aus zwanzig Jahren« erschienen‚ trickst er die amerikanische Zensurbehörde aus‚ und alle‚ die dies bis heute bemerkten‚ beherzigten den Spruch‚ nach dem der Kenner genießt und schweigt. Wir lesen in seinen Gedichten aber auch den immerwährenden Bezug zur Landschaft seiner Kindheit‚ die durch feuchte Niederungen am weidengesäumten Gewässer‚ den »Bruch« und andere Elemente geprägt ist. In dieser Mikrowelt der Unbestimmtheit der Elemente Wasser und Land und im Dialog mit ihnen lebt sein Ich und entfaltet seine schöpferische Kraft.
Nach nunmehr 62 Jahren wurden diese Gedichte wieder aufgelegt. Der Titel »Das tägliche Brot« verweist auf die religiöse Dimension dieser Meditationen eines fast vergessenen Außenseiters. Sie reichen von einsamen Gängen durch die Sumpflandschaften und Moore seiner Liegnitzer Heimat über den Wirtshaustisch Berliner Kneipen bis zu den nächtlichen Wachgängen im Rußlandfeldzug in der dauernden Furcht vor den Partisanen. In seinen späten Kantaten versucht er in größerer Form mit Chören‚ Rede und Gegenrede‚ Klage und Preislied die tiefe Tragik des Daseins und seine immanente Heilsgeschichte aufzuzeigen.

Lange‚ Horst: Das tägliche Brot. Gedichte. 2010. 115 S. ISBN 978-3-926370-48-8 Arnshaugk Verlag Kt. 10‚– €

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