Ist Literatur Kunst?
(Claus Irmscher)

Die uralte Frage‚ ob Literatur zur Kunst zu zählen sei oder nicht‚ wurde jüngst von einer Kuratorin H. S. endgültig beantwortet. Sie ist es nicht‚ entschied die Kuratorin!
Die Frage ergab sich‚ als die Bewerbung einer Gruppe kreis~ansässiger Schriftsteller zur Teilnahme an einer kreisge~bun~de~nen Kunstmesse‚ die neben Bildender Kunst und Kunsthandwerk auch für Literaturschaffende möglich gewesen war‚ abgelehnt wurde‚ unterzeichnet von eben jener mit Macht ausgestatteten Person‚ während die Bilder- und Plastikwelt ausreichende Wür~digung erfuhr.
Man darf fragen‚ wie groß die Kompetenz der Entscheiderin ist? Welche tiefgründigen Einblicke in die Schaffensprozesse beider Gattungen hat sie‚ die gute Frau? Denn ohne deren spezielle Eigenarten kann sie sich schlecht ein Bild von einer künstle~ri~schen Leistung machen‚ oder? Man will doch nicht annehmen‚ daß sie über etwas urteilt‚ von dem sie nichts versteht.
Von der Werbemanagerin D. R. ist zu erfahren‚ daß die forsche Unterzeichnerin als Mitglied des Verbandes Bildender Künstler bereits mehrere Ausstellungen organisiert habe. Aha!
Von literarischen Ambitionen ist bei der Kuratorin nichts be~kannt. Man muß also schlußfolgern‚ daß es sich bei den Aus~stellungen allesamt um fachspezifische handelt‚ also jene‚ die in ihr Fach fallen‚ nämlich das der Bildenden Kunst.
Einmal abgesehen davon‚ daß von ihr keine bedeutenden bild~künstlerischen Werke bekannt sind‚ was ja nicht unbedingt nötig ist‚ aber doch nicht schaden könnte‚ schließlich leben ganze Heerscharen von Museumspädagogen‚ Galeristen‚ Aufsichts~be~am~ten und Stiftungsverwaltern von der Kreativität der wenigen wirklichen Bildkünstler‚ ist somit klargestellt‚ daß von ihr keine begründete Aussage über den Wert von Literatur zu erwarten ist. Schlimmer noch ist‚ daß sie das‚ was sie nicht versteht‚ nicht einmal zur Kenntnis nimmt‚ obwohl alle Werke‚ die zur Verhandlung stehen‚ fein säuberlich aufgelistet worden sind. Sie hätte sie alle oder wenigstens einige davon lesen können‚ um wenigstens einen laienhaften Eindruck zu gewinnen. Sie tat es nicht‚ gab im Gegenteil darüber Urteile ab‚ denn eine Ablehnung ist ein Negativurteil über die Qualität kreativer Leistungen. Da es sich um vier Autoren handelt‚ die sich gern präsentiert gesehen hätten‚ spricht sie vier Literaturschaffenden die Eignung zur öffentlichen Darstellung ab. Weil aber die Literatur wie jede Kunst von der Aufnahme beim Leser lebt und diese Kenntnis eine Existenzbedingung für die Schöpfer ist‚ um ihre Werke bekannt zu machen und auch veräußern zu können‚ kommt die Ablehnung einer Bedrohung ihres Daseins gleich. Ein gutes Bild kann in Wochen geschaffen werden‚ ein umfangreiches Buch benötigt die Zeit von Jahren.
Menschen in Machtpositionen haben in der Geschichte schon viel Unheil angerichtet. Die Literaturgeschichte ist voll von Fehlurteilen‚ Verboten‚ Buchverbrennungen und Verfolgungen der Schriftsteller. Man sollte hoffen‚ daß diese Zeiten vorbei seien. Leider wohl nicht‚ wie die Anmaßung der Frau H. S. zeigt.
Man könnte vermuten‚ daß sie ihre Entscheidung nicht allein getroffen hat und demnach nur Sprecherin einer fachkundigen Jury aus wichtigen Gattungen war. Tatsächlich existierte eine Gruppe Prüfer‚ die ihr zur Seite standen. Ursprünglich sollten es vier Vertreter der thüringer Kunstszene‚ des Landratsamtes und der Kreissparkasse sein‚ welch letztere als Sponsoren mit jeweils 6000 Euro die Messe erst ermöglichten‚ wie aus einem Artikel im Oberlandboten hervorgeht. In der Ausschreibung waren von diesen sechs Personen nur noch fünf genannt. Der Vertreter des Amtes fehlte bereits. Im Ablehnungsschreiben schließlich redu~zierte sich die demokratische Mitarbeit und Kontrolle auf nur vier Vertreter‚ die alle der Bildenden Kunstszene angehörten. Hier hat die Bildende Kunst für sich selber gesprochen und entschieden. Die Literatur war in der Jury nicht vertreten und die geldgebenden Partner hatten sich zurückgezogen und das Feld jener Kunst überlassen‚ deren großgeschriebene Bildung suggeriert‚ daß die Literatur nicht bilden würde‚ weshalb wir von nun an diese Kunstgattung klein schreiben werden. Wir Literaten müßten sonst auch von Bildender Literatur sprechen.
Zu fragen ist nun‚ ob die Bedeutung der ausgeladenen Autoren solche Polemik rechtfertige oder ob nicht dieser ganze Aufriß aus der Luft gegriffen sei und hier mit Kanonen auf Spatzen geschossen werde.
Die Autorin Gisela Rein‚ um der Dame den Vortritt zu lassen‚ ist vor allem durch ihren Tatsachenroman »Falkenflug« bekannt geworden‚ in dem sie eindrucksvoll und wahrhaftig die Schi~ka~nen schildert‚ die einem jungen Menschen im DDR-System widerfuhren‚ der nicht zur See fahren durfte‚ weil er zwei Omas im Westen hatte. In Geschichten und dem bekannten »Falken~lied« setzt sie sich für die Freiheit des Wortes und gegen Diskriminierung ein.
Dieter Wolf‚ besonders bekannt durch sein Heimatbuch »Neunhofen« und andere Bücher zur Regionalgeschichte‚ gestaltet Sagen und Legenden im Saale- und Orlatal auf eine höchst erfrischende und originelle Art und legt in seinen Satiren und Grotesken den Finger auf die Wunden unserer Zeit‚ die da Bankenwillkür‚ Überschuldung und mediale Verblödung heißen.
Der Lyriker Uwe Lammla ist Literaturfreunden zu einem Begriff für kraftvolle‚ metapherngespickte‚ traditionsgebundene Dicht~kunst universellen Anspruchs geworden‚ die weit über die Region hinaus im deutschsprachigen Raum geschätzt wird. Über 50 Publikationen mit geistreichen Essays‚ Gedichten‚ Balladen und dramatischen Werken belegen seinen Fleiß‚ der von Kennern geschätzt wird. Da etliche seiner Werke inzwischen ins Russische übersetzt wurden‚ könnte es geschehen‚ daß er im Ausland noch eher bekannt wird als in der deutschen Kultur~szene‚ zumal auch die hiesigen Bibliotheken mit ihren immer kleiner werdenden Mitteln lieber hochgejubelte »Bestseller« ins Regal stellen‚ die nach drei Monaten vergessen sind‚ als solide‚ bodenständige Literatur‚ und eher eine neue Bibliothek für Millionen errichten lassen‚ als eine bestehende durch honorierte Lesungen mit Leben zu erfüllen.
Beim vierten Autor handelt es sich um den Verfasser dieser Kolumne‚ der sich nicht für befugt hält‚ hier für sein Schaffen zu werben. Es kann‚ wie bei allen anderen‚ leicht und schnell im Internet eingesehen werden. Erwähnt sei nur‚ daß er seit Jahren ehrenamtlich den unabhängigen und politisch nicht belasteten Schriftstellerverband FDA Thüringen nicht von Erfurt‚ sondern von dem winzigen Ferienort Ziegenrück aus leitet und sich bemüht‚ jüngeren Kollegen Starthilfe beim Schreiben zu geben. Sein Betätigungsfeld umfaßt vor allem die Lyrik‚ das Hörspiel‚ die Reportage und die Erzählung.
Für alle diese Autoren kann außerdem festgestellt werden‚ daß ihre Literatur und ihre publizistischen Aktivitäten gerade die geistigen und kulturellen Probleme im Kreisgebiet in besonderer Weise tangieren. Die Anwesenheit eines Lokalredakteurs der hier verbreitetsten Tageszeitung hätte die Ignoranz sicher verhindert.
Es ist nicht ohne Ironie‚ daß Buchveröffentlichungen‚ Zeit~schriften‚ Verbandsarbeit und Präsenz in der Lokalpresse offen~bar nicht ausreichen‚ um bei der Bewerbung zur Teilnahme an dieser Kreismesse etwas anderes zu erhalten als einen inhalts~armen‚ maschinengefertigten Ablehnungsbrief. Die bei der Bewerbung durchgefallenen Autoren müssen sich damit trösten‚ daß der Prophet im eigenen Land nichts gilt. Die Verant~wort~lichen des Kreises werden nicht umhinkommen‚ sich zu fragen‚ ob eine gute Idee nicht entartet‚ wenn keine unabhängige Kontrolle ausgeübt wird und die Umsetzung Lobbyisten einer einzigen Kunstgattung überlassen bleibt.
Als Resümee bleibt festzuhalten: Repräsentativ für das Kunst~schaffen ist die »KUNST.WERK« genannte Messe für die Re~gion nicht‚ eher ein Kunststück!

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