Streifzüge durch Süd-Ungarn
(Detlef Gojowy)

Ein schönes Reisebuch mit fröhlich blauem Hardcover-Umschlag in leserfreundlichem Drucksatz scheint dies auf den ersten Blick. Reisebücher schreibt man gewöhnlich über entlegene‚ unbekannte Weltgegenden – unbekannt ist diese auch‚ wie man feststellt‚ obwohl sie nicht entlegen ist‚ sondern gleich hinter Österreich vor der Haustür liegt. Ungarn zu erkunden‚ nicht nur seine Sehenswürdigkeiten‚ sondern tiefer in seine Geschichte‚ seine Kultur und seine gegenwärtigen Probleme einzudringen‚ haben sich die Autoren gehörig Zeit genommen‚ sind mit ihrem Wohnanhänger von Stadt zu Stadt gefahren und Monate unterwegs geblieben‚ entdeckten ungeahnte Kunst- und Geschichtsdenkmäler‚ bildnerische Techniken und – Gedichte‚ besonders von dem bei uns nur Experten geläufigen Endre Ady‚ aber auch »Erzählchens«‚ Witze und Schnurren‚ die viel über die Mentalität des Landes verraten. Sie benutzten übrigens statt einer Kamera eifrig den Zeichenstift‚ um die Orte des Berichts und vor allem ihre Gesprächspartner festzuhalten: Studentinnen‚ Gäste im Café oder hilflose Beschauer vor moderner Kunst‚ Bauersfrauen‚ Handwerker‚ Zigeuner – dies alles erinnert viel eher an Johann Gottfried Seumes »Spaziergang nach Syrakus« oder Madame de Staels Deutschlandbuch aus der Goethezeit. Das Buch bereitet Entdeckung und Vergnügen zugleich.
Doch das Vergnügen weicht zunehmend einer Betroffenheit (und es ist zugleich die eigene Betroffenheit der Autoren)‚ wo es in den dokumentierten Gesprächen um jüngste und jüngere Geschichte geht‚ von der wir nichts oder wenig wußten (es sei denn als Betroffene) und allerdings auch nichts wissen sollten: die Geschichtsbücher und Statistiken lügen und schweigen nämlich in politischer Korrektheit – ebenso wie bei uns über die Schweigelager in der Sowjetischen Besatzungszone – über den Leidensweg einer Volksgruppe: der Donauschwaben‚ die nach 1945 ohne eigene Schuld stellvertretend bestraft wurden durch »Verschleppung‚ Vertreibung‚ Enteignung und Entrechtung«‚ bestraft für nichts anderes als für ihre deutsche Volkszugehörigkeit trotz ungarischer Staatsbürgerschaft‚ und dies durchaus mit dem Plazet der westlichen Siegermächte im Potsdamer Abkommen. Im Schlußkapitel zeichnen die Autoren ausführlich diesen Geschichtsverlauf‚ über den in Ungarn erst nach der politischen Wende des Jahres 1989 wieder gesprochen und geschrieben werden kann‚ zu dem Gesetze erlassen wurden‚ ohne daß von tatsächlicher Wiedergutmachung – und wie sollte die aussehen? – die Rede sein kann.
Wie das ablief‚ erfährt man in zahlreichen Gesprächen mit noch lebenden Zeugen‚ die die Verfasser in deren authentischer donauschwäbischer Mundart aufgezeichnet haben (und damit zugleich ein Sprachdenkmal festhielten)‚ Kommandiert zu angeblichem Arbeitseinsatz für drei oder vierzehn Tage wurden daraus Monate und Jahre Zwangsarbeit in Rußland unter mörderischen Bedingungen‚ die viele nicht überlebten. Und die überlebten und heimkehrten‚ fanden ihre Häuser und Felder enteignet‚ in Besitz genommen von früheren Mitbürgern‚ die bis heute dort wohnen‚ oder von ihrerseits vertriebenen Ungarn. Bisweilen konnten sie sie später zurückkaufen. In die SBZ ausgesiedelte Donauschwaben setzten auch gelegentlich ihre Rückkehr in ihre südungarische Heimat durch. In der Wiederkehr immer derselben Erlebnisse wird deutlich‚ daß es sich nicht um extreme Einzelschicksale handelte‚ sondern um als Trauma zurückgebliebenes Leiden eines ganzen Volkes‚ einer ganzen Generation‚ über die man auch bei uns erst allmählich verordnetes Schweigen zu brechen beginnt. Den Deutschen wurde dies ja immer mit ihrem Verschulden eines Krieges begründet‚ aber welchen Weltkrieg »verschuldeten« Siebenbürger Sachsen‚ Schwarzmeerdeutsche oder Donauschwaben weitab der Reichsgrenzen?
Im postsozialistischen Ungarn finden die in Thüringen beheimateten Autoren manches aus der Ex-DDR Vertraute: Wie gewachsene wirtschaftliche Strukturen in vorgeblichen Rationalisierungen »plattgemacht« und ausgeschaltet wurden‚ die funktionieren könnten‚ wie Handelsketten Waren über hunderte Kilometer antransportieren‚ die in der Region billiger erzeugt werden könnten‚ wie aber auch blühende Agrarproduktion wenig Ertrag abwirft und‚ wo sie existiert‚ zurückgefahren wird angesichts der EG-Normen‚ wie schließlich der »Bio«-Anbau‚ auch hier in Mode gekommen‚ auf Betrug und Verschleierung unumgänglicher Schädlingsbekämpfung hinausläuft‚ denn die Käfer wissen ja nicht‚ auf welchem »Bio«- Feld sie nichts zu suchen hätten...
Von den Autoren ist zu erfahren‚ daß sie ihre Reise durchaus nicht unter politischen und historischen Gesichtspunkten begonnen haben‚ eine Beschreibung zur Entdeckung eines Landes sollte es ursprünglich werden‚ nichts weiter . Was sie dann dort erfuhren‚ begegnete ihnen unerwartet und ungesucht – die Erfahrungen drängten sich ihnen entgegen. Und was sie inzwischen zu Hause erfahren mußten‚ daß diese Erfahrungen hierzulande gar nicht allzu willkommen sind – Ängste wurden schon geäußert‚ Schwierigkeiten zu bekommen mit einer Rezension dieses Buches...

Irmscher‚ Claus/ Rein‚ Gisela: Streifzüge durch Süd-Ungarn. Reisereportage durch die Baranya. 2002. 408 S. ISBN 978-3-9808325-0-2 Espero Verlag Gb. 19‚80 €


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