Vom Regen in die Traufe
(Gisela Rein)

Der Autor wählt als Stoff die jüngere Zeitgeschichte‚ circa vier Jahrzehnte vor bis einige Jahre nach der politischen Wende in Deutschland. Sein Thema ist das Schicksal eines durchschnittlichen Ostdeutschen im Arbeitsfeld der Metallindustrie‚ chronologisch als Fabel strukturiert in episch gefügten Episoden des privaten und beruflichen Umfeldes‚ eingebettet in die gesellschaftlichen Verhältnisse der zwei gegensätzlichen Ordnungen. Es geht‚ wie es auf der Rückumschlagseite heißt‚ um den »Werdegang eines braven Bürgers aus dem wohlbehüteten Unbehagen des sozialen Experiments DDR durch den Wirbel der Wende in die große Hoffnung der Freiheit der sozialen Marktwirtschaft‚ die sich als wohlgesicherte Kälte erweist.« Der Autor setzt sich durch die Gestaltung der Zentralfigur konkret mit Lebensträumen und -wirklichkeit auseinander. Die gegensätzlichen Formen des Ethos der Arbeit in den Systemen werden gut sichtbar und machen den qualitativen Unterschied in einer zwar primitiven‚ doch als human empfundenen Arbeits- und Lebenswelt‚ die nie existenzgefährdend war‚ und in einer auf Profit orientierten Konkurrenzumgebung deutlich. Kritisch werden die Nachteile beider Systeme dargestellt. Die Haltung der Zentralfigur in der Diktatur ist durch innere Opposition und Abgrenzung von hohler Argumentation und Repression gekennzeichnet‚ während sich die offene Ablehnung des Zwangssystems auf die junge Generation verlagert. Der neue Freiheitsraum nach der Wende kann vom Helden objektiv wegen geringen Marktwerts durch höheres Alter und subjektiv wegen mangelnder Anpassung nicht genutzt werden. Ein ernsthafter Versuch scheitert. Aus dieser Krise‚ geschützt durch eine stabile Partnerbeziehung‚ findet der Gescheiterte innere Befriedigung letztendlich nur im Festhalten an seinem verinnerlichten Glauben an nützlicher solidarischer Betätigung in ehrenamtlicher Tätigkeit. Es ist ein öffentliches Scheitern‚ das sich in dialektischer Umkehrung als Kritik am Denken in Verwertungskategorien von Subjekten äußert. Damit wird das Dilemma des Menschen zwischen Idealen der Humanisierung bei materiellem Mangel und materiellem Reichtum durch äußersten Verschleiß aller Kräfte erahnbar. Der Text ist in 39 Kapitel gegliedert. Die etwa zur Hälfte gewählte und das Ganze umschließende Form des Knittelverses verwundert zunächst‚ führt jedoch als verdichtete Sprachgestaltung bei klarer Verständlichkeit bald zu reichlichem Hör- oder Lesevergnügen‚ wie zahlreiche Zustimmungen bei vielen Veranstaltungen beweisen. Die enthaltenen Prosa-Dialoge fügen sich als in sich geschlossene Elemente abwechslungsreich in das entstandene Sprachkunstwerk ein‚ das ebenso ernsthaft wie heiter-ironisch die Forderung nach kultureller Vielfalt im europäischen Vereinigungsprozeß erfüllt. Dieses Buch setzt sich für Erhalt und Verbreitung der deutschen Sprache ebenso wie für ein tolerantes Menschenbild ein und stellt innerhalb der Schriften des Autors sicherlich einen bisherigen Höhepunkt seines Schaffens dar.
Ich bin mir bewußt‚ daß Buchbesprechungen gemeinhin nicht als Laudatio abgefaßt werden. Ich nutze aber die Gelegenheit‚ weil sie mir überfällig erscheint‚ und stelle einige begeisterte Stimmen zu diesem Buch zusammen.
Ich beginne mit Dr. Detlef Gojowy‚ der in einer Rezension Schraps‚ die Zentral- und Erzählfigur jenes »Werdegangs eines braven Bürgers...« als eine Person aus dem Kinderspiel‚ die »den Hut verloren hat«‚ beschreibt. Wie sich am Ende zeigt‚ ist dies ein Synonym für den verlorengegangenen Sinn des Lebens‚ in deren Zustand der Held nach der Wende gerät‚ bis ihm aus eigener Tatkraft wieder ein Stück Hut zugestanden wird. »Dies geschieht«‚ notiert der Rezensent‚ »in lockerer Prosa und vielfach in den Knittelversen volkstümlicher Gelegenheitspoesie‚ die sich als Stilsphäre herstellt‚ um munteren Spott zu breiten über Absurditäten des Gestern und Heute. Als ob das »in der europäischen Marktwirtschaft grundlegend anders wurde!« Irmschers Spott: »Absurditäten im Hinterhof der blühenden Landschaften‚ die Abwicklung hoffnungsvoller Strukturen‚ Arbeitslosig-keit‚ Kleinkriminalität‚ Abzockerei und einstürzende Traumgebäude von selbständiger Existenz – darin müssen sich dieselben kleinen Leute‚ die die Wende herbeisehnten‚ wieder zurechtfinden. Irmscher spottet nicht verbissen‚ aber mit Biß‚ sein freches Maul formt muntere Blüten: «Malimo...in dieser Textilie hält sich kein Floh« oder in der Nachwendezeit:«...mir geht alles zu schnell‚ die ziehn uns doch aus wie ein Aktmodell!«
»Es ist ein köstliches Werk‚ voller Ironie und Spott über den Alltag in der ehemaligen DDR«‚ vermerkt Dittker Slark‚ FDA-Mitglied aus Darmstadt‚ und fährt fort: »Scharfsinnige Beobachtungen‚ in Reim-Knittel-Versen....Satiren über ...Vorkommnisse‚ die das ...Handeln nach Plänen erläutern‚ die vor lauter Theorie nicht durchführbar sind. Aber auch Deine geistreiche Treffsicher-heit‚ mit der Du den Finger in die Wunden bundesrepublikanischer Gegenwart legst. Schraps kommt tatsächlich ´vom Regen in die Traufe´.«
»Ob sich da jemand mit Homer‚ Dante‚ Shakespeare oder Goethe messen will«?‚ schreibt Renate Zeising‚ eine Weltreisende aus Berlin und ergänzt: »...nun merkte ich‚ dass die Sprache viel besser fließt und das Lesen erleichtert‚ auch gerade deswegen teils witzig ist und mir Vergnügen bereitete. Obwohl viele der Erlebnisse ehemaliger DDR-Bürger nicht sehr lachhaft waren‚ aber heute ist alles viel schlimmer und das Lachen bleibt im Halse stecken.« Weiter schreibt sie: «Als zum Schluß des Buches das Klassentreffen geschildert wird‚ hat sich meine Ahnung bezüglich Kumpel Franz (dem Stasi-Spitzel) bestätigt. Aber überwacht wird heute jeder besser als damals...Und die Beamten heute sind schlimmer als die damaligen Funktionäre in den Rathäusern...‚ Wessis oder Leute‚ die so schnell die Gesinnung wechseln konnten.«
Ende Juli 2007 erhielt Claus Irmscher überraschend einen Brief von Inge Beer vom Berliner Verband des FDA‚ die auf der vorangegangenen Tagung das Buch käuflich erworben hatte. Sie bedankte sich als zunächst für den Kollegenrabatt und vermerkte als sodann: »es« (das Buch) »hat aber meine Erwartungen noch weit übertroffen«. Sie erklärte‚ daß sie sozusagen eine »Wossi« sei‚ die den Osten 13 Jahre lang habe genießen dürfen‚ bis die Mauer fiel. Für die Erfahrung wäre sie dankbar. Sie schreibt: »Sie haben es genau auf den Punkt gebracht. Die Schilderung der Unebenheiten in der DDR‚ den dadurch entstehenden Zusammenhalt (auch wenn man sich nicht liebte‚ man hielt zusammen) und die Menschlichkeit‚ die dennoch existierte‚ die Hoffnung und die Ernüchterung‚ als man feststellen mußte‚ daß eine Demokratie auch viele Nachteile hat‚ daß letztendlich zumindest die ehrlichen und »geraden« Menschen‚ die nicht durch Beziehungen in Positionen rutschen‚ in der Prioritätenliste ganz weit hinten stehen.« Zum Schluß vermerkt sie: »Ein wirklich schönes Buch‚ humorvoll verpackt mit ernstem Hintergrund‚ eine wahre Freude zu lesen.«
Der Autor war verlegen vor derart viel Lob und bedankte sich herzlich.
Zum Abschluß darf ich aus dem Brief eines alten Schulfreundes von Claus Irmscher zitieren‚ der den Autor mindestens ebenso gefreut hat. Der pensionierte Diplompsychologe Dr. Hans Dietze‚ der ein Jahrzehnt lang Strafgefangene in einer Haftanstalt in Straubing betreut hat‚ äußert sich so: »Den ´Schraps´ habe ich jetzt zum zweiten Mal gelesen. Dabei ist mir klargeworden‚ weshalb ihn die Westgoten nicht so recht mögen. Stellt er doch die vormaligen »Brüder und Schwestern« mit eigenständiger Selbstbehauptung und mit Wohltäterkritik versehen dar. Das geht natürlich nicht. Die »Westpakete« u.a.m. berechtigen vielmehr zu unterwürfigster Selbstverleugnung sowie ungebremsten Lobpreisungserwartungen. Indem die Schräpse den Versuch wagen‚ in bescheidenem Maße zu denken und die Augen offen zu halten‚ bestätigen sie ihre schlechte Kinderstube und Undankbarkeit. Ein wenig erinnern sie an Südsee-Ureinwohner‚ die Glasperlen nicht mehr zu schätzen wissen. Soviel Undank kommt unerwartet und macht schlichtweg unbeliebt. Ich trinke einen Grappa auf Schrapsens Wohl...!«
Bei Lesungen aus dem Werk gab es fast jedesmal im Anschluß lebhafte Diskussionen. Westliche Hörer äußerten ihr Erstaunen über die Zustände in der DDR‚ östliche bestätigten die Darlegungen und wollten eigene Erlebnisse zum Besten geben. Viele kleideten ihre Meinung in das Lob über den Stil und die Art der Gestaltung. Die Reimform schien keine Schwierigkeiten bei der Rezeption hervorzurufen. Es kamen allenfalls Fragen über die Zeitdauer einer solchen Arbeit. Ein einziges Mal verließ ein Gast nach grimmigem Mienenspiel vorzeitig den Raum. Daraus läßt sich schlußfolgern‚ daß Claus Irmscher ein Buch vorgelegt hat‚ das anregt‚ zur Diskussion herausfordert‚ der Gesellschaft den Spiegel vorhält‚ mit Gewinn zu lesen und zu hören ist.

Irmscher‚ Claus: Vom Regen in die Traufe. Wie Schraps in die Marktwirtschaft stolpert. 2003. 158 S. ISBN 978-3-9808325-2-6 Espero Kt. 11‚80 €

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