Beiläufiges zur Wahrnehmung Chinas in der Literatur des Biedermeier
(Sebastian Hennig)

Es gibt Fachbücher‚ die liest man weniger darum‚ weil einen das Thema lockt‚ als wegen der Vorzüge der Schreibweise. Bernd-Ingo Friedrich vermag‚ Stoffe und Personen‚ die als schwierig und abwegig gelten‚ leicht und unterhaltsam aufzuführen. Es drängt sich der Verdacht auf‚ daß er diese Herausforderung geradezu benötigt‚ so wie der Bildhauer den harten Marmor in fließender Anmut verzaubert. Er mag nicht die lehmigen Formen allgemeiner Gewißheiten weiter durchkneten und schlägt dafür lieber mit reger Hand das überflüssige vom Stein‚ damit die innewohnende Gestalt hervortrete. Diese beiläufig genannte Studie zur Wahrnehmung Chinas in der Literatur des Biedermeier ist ein sorgfältig kultivierter Seitentrieb aus der großen zweibändigen Biographie des Dichters August Heinrich Stieglitz von Friedrich‚ von der bereits der erste Band im Arnshaugk Verlag erschienen ist. Weitere wichtige Anhaltspunkte spenden dem Autor seine Kenntnisse des Muskauer Dichters Leopold Schefer. Ein heftiges Ressentiment gegen den inkommensurablen Geheimrat von Weimar geht so weit‚ daß Friedrich darin schon vom Wieland-Fan Jan Philipp Reemtsma ermahnt wurde‚ er solle Goethe nicht entgelten lassen‚ was posthum aus ihm gemacht wurde. Friedrich zitiert diese Mahnung. Sein unnachsichtiges Gericht über diesen vermeintlichen oder tatsächlichen Ausbeuter anderer begnadeter Malocher im Textbergwerk wird ausgewogen von vielfältigen Kenntnissen und der seltenen Fähigkeit sinnlicher Veranschaulichung der Schaffensbedingungen. Eine allgemeine Sozialgeschichte der freien Autorenschaft verbindet sich mit der speziellen Darstellung der China-Kenntnis der deutschen Schriftsteller‚ die sich zuweilen in einer Art stillen Post vollzog. Was sich hier die Franzosen‚ Engländer und Deutschen über die Jahre gegenseitig zuflüsterten‚ ergibt zuweilen ein recht krauses Bild. Vielfach geißelt der Autor zurecht die Unsitte Generationen übergreifenden Abschreibens ungeprüfter Geschichten bis auf den heutigen Tag. Er präsentiert nebenbei eine kurzweilige Revue der Übersetzungsfehler.

Der Fortuna nimmt er es wohl nicht übel‚ wenn sie das Füllhorn so ungleichmäßig über ihre Günstlingen entleert. Ob sie darum nun Dichterfürsten oder Lehrstuhlinhaber wurden. Umso mehr verdenkt er diesen‚ wenn sie die unverdiente Gnade hochmütig werden und über die Hilferufe aus der Tiefe kaltschnäuzig hinweggehen läßt.

Zu kostbar ist das Wort unserer Dichter‚ um es von Literaturwissenschaftlern ausweiden zu lassen. In Friedrichs Bändchen lebt es und schallt es weiter‚ im genauen Bericht eines liebenden Lesers und eines leidenschaftlich Alt-Neugierigen. Das Leben ist zu kurz‚ um es als Fachmann zu vergeuden. Indirekt und ungewollt gibt Friedrichs eigene Lese- und Schreibpraxis dann auch Goethe recht‚ diesem genialen Dilettanten aller Fächer. Als einziger Vorwurf bleibt stets das unverschämte Glück seiner Existenz bestehen. Er hat sich diese Süße nicht durch das Unglück der anderen verbittern lassen wollen. Aber auch nach der Lektüre von Friedrichs Schrift bleibt die Frage bestehen‚ ob Herrn Stieglitz tatsächlich zu helfen gewesen wäre. Dieser hat für seine Zeitschrift und durch Zelters Fürsprache etwas Abraum von Goethes Dichterschreibtisch zum Gebrauch überlassen bekommen. Mit dem großen Namen wollte er seiner Unternehmung Glanz verleihen. Angesichts dessen erscheint es dann doch ein wenig ungerecht‚ Goethe vorzuwerfen‚ daß er es gegenüber Stieglitz an Intensität in seiner Auseinandersetzung mit dem Chinesischen mangeln ließ.

Was der Autor zutage fördert‚ ist sensationell. Denn er zergliedert nicht ungerührt‚ was die Herren in den Bibliotheken finden mochten‚ sondern er geht unter ähnlichen Voraussetzungen an die Quellen heran. Dadurch entsteht eine Spannung in der Lektüre‚ die einen in das Geschehen der Entstehung der literarischen Produktion hineinreißt. Die Rehabilitierung des zu Unrecht verharmlosten Biedermeier ist da nur ein Nebenergebnis. Der Untersuchung ist zu wünschen‚ daß sie von Lesern gefunden wird. Dergleichen kenntnisreich wie lebendig geschriebene sinologische Germanistik erwartet heute kaum jemand mehr und sucht sie darum nicht in den Verlagsprogrammen. Es dürfte kaum möglich sein‚ mehr Facetten in einem knapp 150-seitigen Büchlein aufscheinen zu lassen.

Bernd-Ingo Friedrich: Beiläufiges zur Wahrnehmung Chinas in der Literatur des Biedermeier. Gelbe Erde Reihe Band 12. 2016. 143 S. ISBN 3-946114-35-0. Ostasien Verlag. Broschur 19‚80 €



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