Abschaffung der politischen Parteien
(Wilhelm Castun)

Der Diaphanes-Verlag hat eine Streitschrift Simone Weils wieder aufgelegt‚ die in ihren letzten Lebensmonaten im Londoner Exil entstand. Frankreich war zu dieser Zeit von den Deutschen besetzt und für die jüdische Intellektuelle‚ die den Kommunisten nahestand‚ war die Flucht geboten. Allerdings verschmähte sie das sichere Amerika‚ um in England an Ideen zur französischen Nachkriegsordnung zu arbeiten. Ihre Ideen wurden allerdings ignoriert.
Auf den entscheidenden Punkt dieser an Deutlichkeit und Folgerichtigkeit bestechenden Schrift möchte ich gleich zu Beginn zu sprechen kommen. Die Autorin‚ die sich leblang allen organisierten Wahrheiten‚ der kommunistischen Partei wie der katholischen Kirche‚ verweigert hat‚ ist von einer objektiv bestehenden Wahrheit überzeugt. Sie sieht ganz platonisch das Wahre als das Gute. Ein Skeptizismus‚ der in der Welt das ge~ring~ste Übel zu wählen sucht‚ ist ihr grundsätzlich fremd.
In der Folge Rousseaus sieht sie das Gute im Menschen als Folge der Vernunft‚ das Schlechte aber der Leidenschaften. Dieser Ansatz klingt zunächst einleuchtend. Aber während die Philosophen seit der Antike eine ziemlich plastische Vorstellung von den menschlichen Leidenschaften entwickeln‚ und nicht nur sie‚ sondern auch die Kultur und die Kunst‚ ja der Volkswitz‚ ist der Begriff der Venunft von einer merkwürdigen Fadheit. Nietzsche kennzeichnet sie als einen Schatten Gottes und weist in seinen Schriften immer wieder nach‚ daß die Vernünfte der Philosophen immer getarnte Leidenschaften waren.
Ein gläubiger Mensch sieht jeden‚ der an das Gute glaubt‚ aber nicht in der Gnade des Gottes- und Erlösungsglaubens steht‚ in einer tragischen Konstellation‚ und eine solche ist im Leben der Autorin auch zweifelsfrei auszumachen.
Folgen wir aber der Argumentation. Die Autorin meint‚ für die Idee einer Volkssouveränität und damit eine Legitimität des Sturzes der französischen Monarchie 1789 spreche‚ daß die Men~schen in ihren Leidenschaften verschieden seien‚ in ihren ver~nünf~ti~gen Ansichten aber übereinstimmten. Sie gibt dem Mehr~heits~willen keine Legitimität an sich‚ sondern nur in der Spekulation‚ daß die Vernunft sich in der Vielzahl durch Übereinstimmung verstärke‚ die Leidenschaften aber in ihrer Gegensätzlichkeit einander aufhöben.
Dies sieht sie nun durch Parteien geradezu ins Gegenteil ver~kehrt. Denn deren Wesen sei‚ unabhängig davon‚ ob sie offen totalitär aufträten oder sich zu Spielregeln eines Kräfte~gleich~gewichtes bekennten‚ die Propaganda. Jede Propaganda ist aber ein Appell an menschliche Leidenschaften‚ und wirksame in ganz besonderem Maße. Also entstünde durch Parteien eine Herr~schaft von Leidenschaften‚ und dies unabhängig davon‚ ob dies nur eine im Lande betriebe oder mehrere konkurrierende. Denn mehrere Parteien neutralisierten die Leidenschaften nicht‚ son~dern sie bildeten Lager‚ und in keinem davon finde die Ver~nunft einen Platz.
Heute sind die Parteien wieder einmal besonders unbeliebt. Hie und da wird versucht‚ eine neue zu gründen‚ und Umfragen ge~ben Neugründungen oft große Chancen. Dies ist ein törichtes Unterfangen. Denn mögen die Initiatoren auch kluge Leute sein und vernünftigen Ideen anhängen‚ um sie mehrheitsfähig zu machen‚ werden sie wie alle Parteien vor ihnen Propaganda betreiben und nach blinder Anhängerschaft trachten. Sie können auch gar nicht anders‚ denn sie befinden sich im Krieg‚ auch wenn es hier nicht um ein Gebirgstal‚ sondern um Prozent~punkte geht. In Armeen ist der geschätzte Spielraum des Solda~ten durchaus unterschiedlich‚ aber kein General kann einen brauchen‚ der den Sinn des Krieges in Frage stellt.
Die Schrift endet mit der Zusammenfassung‚ daß der Verfall der Politik‚ eine »Pest«‚ wie es die Autorin nennt‚ nur aufzuhalten wäre‚ wenn man zunächst die politischen Parteien abschaffte. Politikmodelle für eine Gesellschaft ohne Parteien entwickelt die Autorin nicht. Um sie zu entwickeln müßte die Abstraktheit des eingangs erwähnten Vernunftbegriffes zunächst wesentlich ge~mildert werden. Die Vernunft eines jeden Menschen hat natür~liche Grenzen‚ so wie seine körperliche Leistungsfähigkeit‚ sein Vorstellungsvermögen und anderes mehr. Es kann nachgewiesen werden‚ daß die Kompetenz mit der Entfernung abnimmt. Eine Gesellschaft ist so human wie ihre kleinen und kleinsten Ein~hei~ten. Gerade diese werden durch den Parteienwahn syste~ma~tisch destruiert und zerrissen.
Ein Beispiel dafür ist das Frauenwahlrecht. Von jedermann wird es unreflektiert als zivilisatorischer Fortschritt gepriesen. In Wahrheit bedeutet es aber nicht die Befreiung der Frauen von einer Unterdrückung durch Männer‚ sondern die Zerreißung der Familie. Die Familie spricht nicht mehr mit einer Stimme. In der Konsequenz bricht der Weltbürgerkrieg ins Schlafzimmer ein‚ und dies bei geheimer Wahl auch noch ungesehen.
Solche Gedanken‚ die kaum mehr geäußert‚ ja nicht mehr ge~dacht werden dürfen‚ gibt es immer mehr. Nachdem die Wahl~ver~weigerung steigt‚ erwägen die Parteien sogar eine Wahlpflicht in Deutschland. Man fragt sich‚ wohin das führen soll.
Bemerkenswert an dieser Schrift finde ich vor allem‚ daß hier eine Kritik‚ die Marxismus und Parlamentarismus gleicherweise trifft‚ von einer »linken« Autorin geäußert wird‚ die über den Verdacht erhaben ist‚ sie würde mit vormodernen Herrschafts~ver~hält~nissen flirten. Ein scharfer Blick auf das Verfahrene moderner Politik und ein Aufruf‚ Alternativen zu entwickeln.

Weil‚ Simone: Anmerkung zur generellen Abschaffung der politi~schen Parteien. 2009. 48 S. ISBN 978-3-03734-059-2 Dia~phanes Kt. 10‚– €

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