Pegida - Spaziergänge über den Horizont
(Wilhelm Castun)

Als 1989 die Mauer fiel‚ schrieb ein großer deutscher Dichter: "Man hat den Eindruck‚ daß der zweite Weltkrieg‚ fünfzig Jahre nach seinem Beginn‚ zu Ende geht." Daß dieser Eindruck trog‚ meint Sebastian Hennig in seinem Buch: "In Dresden... wird die Hoffnung auf jenen Frieden genährt‚ auf den Deutschland seit 1918 wartet." Das paßt zu dem Bonmot von Andreas Popp an die transatlantischen Zündler: "Von Europa geht die Gefahr des Friedens aus." Und es paßt gar nicht zu den Reden des Bundespräsidenten‚ der uns vom Waffenstillstand auf eine Speerspitze einschwört. Aber Hennig geht weiter‚ er hofft nicht auf das Anhalten des Waffenstillstands‚ sondern auf wirklichen Frieden. Und seit sich der Hegemon Churchills Credo "Mach sie fett und impontent!" nicht mehr leisten kann‚ wächst das Bewußtsein‚ daß Frieden nicht nur ein gut gefüllter Supermarkt ist. Das Volk erwacht.
Das ist ein ganz bemerkenswerter Vorgang‚ und bei der Lektüre kann man miterleben‚ wie dies Schritt für Schritt geschieht‚ der Weg aus der Vereinzelung‚ vom sozialversicherten Konsumidioten‚ aus der Verhausschweinung‚ wie Konrad Lorenz es nennt‚ zu einem Gemeinschaftswesen‚ zu einem Zoon politikon‚ zum Erlebnis des Volkes. Aus Mitleidenden werden Mitschaffende und Mitfeiernde‚ wie Nietzsche sagt.
Dieses Buch kommt nicht aus dem Kreis der Pegida-Organisatoren‚ und von ihnen wird es auch bis zur Stunde weitgehend ignoriert. Mögen auch Religionskriege der Anlaß zum Beginn gewesen sein‚ möge die Einwanderungskrise der Bewegung Zulauf und Dringlichkeit gegeben haben‚ entscheidend ist‚ daß das Volk sich artikuliert und sich dabei findet‚ unsicher erst und stockend wie der Demonstationszug‚ lauter noch im Schweigen als in den Parolen‚ widersprüchlich bei Rednern und Beifall‚ aber längst über die Fetischisierung der Zahl hinaus. Es sind viele‚ und das genügt. Und es geht nicht um einzelne Dinge‚ es paßt die ganze Richtung nicht in diesem Staat.
Grenzte sich die alte BRD gegen links und rechts ab‚ und nach links sogar stärker‚ weil hier eine reale Bedrohung aus dem Ostblock gesehen wurde‚ so hat die neue hier eine umgekehrte Schieflage. Wer den Konsens nicht mitträgt‚ auf welchem Politikfeld auch immer‚ ist rechts und im Grunde Hitlers fünfte Kolonne. Schon bei den Friedensmahnwachen der Ukraine-Krise wurde darum das Links-rechts-Schema in Frage gestellt oder auch als historisch überholt bewertet. Den Pedida-Spaziergängern ist es mittlerweile wurst‚ wenn sie als rechts eingestuft werden‚ es heißt gar: "Der Nazivorwurf ist ein Ritterschlag." Bei derlei lutherischer Fraktur wird mancher schlucken‚ vor allem jene‚ die meinen‚ selbst und unabhängig zu denken. Wird ihnen doch ein ziemlich billiger Opportunismus vorgeworfen. Wie es damit bestellt sei‚ mag jeder mit sich selber ausmachen. Aber dieses Buch kann mithelfen‚ das Volk‚ von dem in unserem provisorischen Grundgesetz so oft und so selbstgewiß die Rede ist‚ als Chance und nicht als rückwärtsgewandte Gefahr zu begreifen‚ wie es jene tun‚ die dafür sehr handfeste und durchaus unanständige Gründe haben.
Dies alles wird nicht traktiert‚ sondern lebendig und anschaulich geschildert. Das 200-Seiten-Werk im festen Einband ist‚ nicht nur wegen der köstlichen Karikaturen‚ ein Volksbuch geworden. Ein Einzelner schildert durchaus subjektiv das Erlebnis‚ aber er bietet den Genuß der Identifikation‚ weil er weniger deutet als schildert‚ ein Anekdotier‚ der auf gutem Fuß mit dem Volkswitz steht und "seine Sachsen" offensichtlich gut kennt. Die Einführung des Bürgerrechtlers Michael Beleites stellt die Vorgänge in Sachsen in den Kontext der Weltgeschichte und zeigt das Janusgesicht der Demographie-Debatte‚ die Bevölkerungschrumpfung in der Welt‚ aber -wachstum in den dichtesten Gebieten propagiert. Das die Wachstumsideologie der Motor hinter den aktuellen Verwerfungen ist‚ wissen Kundige schon lange. Das Buch zeigt‚ wie das Gefühl für diese Widersprüche breite Schichten des Volkes ergreift‚ welche Fragen daraus folgen und warum es keinen Frieden gibt‚ solange sie nicht beantwortet werden.

Hennig‚ Sebastian: Pegida. Spaziergänge über den Horizont. Eine Chronik. Mit Einem Vorwort von Michael Beleites und Karikaturen von Peter Willweber. 2015. 191 S.‚ 28 Zeichn. ISBN 978-3-944064-39-0 Arnshaugk Gb. 15‚– €

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