Ethnos
(Wolfgang Schühly)

Dieses Buch verdient große Beachtung. Leider ist abzusehen‚ daß solche Stimmen in der derzeit scharf geführten öffentlichen Debatte um die Einwanderungsproblematik in Deutschland und Europa nicht gehört werden (wollen). Würden solche Stimmen ernst genommen‚ so hätten wir eine sachliche und ernstgemeinte Debatte zu diesem Themenkomplex.
Christian Böttger (Jahrgang 1954)‚ der – nach erfolgter Ausbildung zum Gärtner – sich dem Studium der Ethnographie‚ deutschen Geschichte und Volkskunde an der Humboldt-Universität in Berlin verschrieb‚ legt ein Buch vor‚ das Einstieg in die Thematik‚ aber auch Rüstzeug gegen die z.T. völlig fehlgeleitete öffentliche Diskussion über den Ethnos‚ bietet. Seine Publikation stellt eine Serie von schriftlich weiterentwickelten Vorträgen dar‚ die der Autor in den letzten Jahren zu diesem Thema gehalten hat. Motivation zu diesem Buch erhielt der Autor durch die »tiefe Enttäuschung über die Entwicklung der ethnischen und sozialen Verhältnisse seit der Wiedervereinigung«. Damit meint er die seither beobachtbare Masseneinwanderung mit ihren sozialen Folgen. Und er weiß‚ wovon er spricht‚ wenn er oft scharfzüngig der irrationalen »Migrationspolitik« ins Gewissen redet. Im übrigen ist seine Untersuchung sehr gut recherchiert und mit Zitaten hinreichend belegt.
Klar wird in diesem Buch zwischen Assimilationsprozessen und sich im Verlauf der Geschichte oft wiederholender Ethnogenese einerseits‚ und der durch Ideologie und planmäßig kraft Gesetz oktroyierten Migration andererseits‚ unterschieden. Den Mechanismus für die Manipulation der Diskussion und die Meinungsführerschaft verortet der Autor in der bewußt gestreuten Begriffsverwirrung‚ resp. in der Abkehr von bislang etablierten und klar verständlichen Begriffen. Als Beispiel nennt Böttger den Austausch des Begriffes Volk durch Bevölkerung‚ damit implizierend‚ daß es sich um ein Kulturkonstrukt handelt. Als Kulturphänomen gedeutet‚ schießen die ideologischen Manipulationsmöglichkeiten und Deutungsmuster ins Kraut. Seine schärfste Kritik richtet sich denn auch gegen den überzogenen Konstruktivismus‚ der zwar eine auf philosophische Begriffe durchaus anwendbare Methodik darstellt‚ im Bereich der Ethnologie jedoch deplaziert ist. Zumindest dann nicht zur Anwendung kommen darf‚ wenn es sich um die Verschleierung politischer Ideologien handelt.
Ist ein Volksbegriff ohne Abstammungsbezug möglich? fragt sich der Autor‚ und verneint gleichermaßen‚ jedoch ohne einem blinden Nationalismus das Wort zu reden. Und so entlarvt Böttger den seit den 68ern zunehmenden Umbau universitärer ethnologischer Forschungskonzepte als Ideologie. Darüberhinaus weist er nach‚ daß hinter dem heutigen verflachten Diskurs zum Ethnos mechanistische Denkstrukturen stehen‚ in denen unsachgemäß Gleichsetzungen von in ihrer Wurzel her völlig verschiedenen geschichtlichen Ereignissen vorgenommen werden.
Ausführlich widmet sich der Autor dem Begriffswandel des Ethnosbegriffes‚ der im übrigen im Westen fast stets nur für relativ kleine Gruppen außereuropäischer Herkünfte benutzt wird. Im Westen wird Ethnologie heute prozessual verstanden mit sozialanthropologischer Hauptkomponente. Dem gegenüber hält er den Ethnosbegriff der russischen Lehre als Basis für die Forschung und begründet dies u.a. damit‚ daß hier auch die großen Völker miteinbezogen sind. Was im Westen bei der Diskussion‚ die sich fast ausschließlich um die Belange der kleinen Ethnien dreht‚ unter die Räder kommt‚ ist das Ziel der sog. »Neuen Weltordnung«‚ »souveräne Völker als Subjekte der Geschichte durch Wirtschaftsstandorte zu ersetzen«‚ so Böttger.
Am Schluß seiner Ausführungen geht der Autor noch speziell auf die Ethnogenese des deutschen Volkes ein und wendet hier beispielhaft die historisch-systemische Methode der Ethnoslehre an. Diese für sich genommen schon sehr umfangreiche Abhandlung geht der Frage nach‚ wer die ersten Indogermanen waren‚ welche Kultur sie besaßen und welche in historischer Zeit festgestellten Wanderungen der verschiedenen deutschen Stämme belegt sind. Schließlich beschreibt er die Integrationsphasen‚ in denen sich die deutschen Stämme zu einem Verbund konstituierten und leitet dann über zur Konsolidierung des Ethnos in der Reichsstruktur der Deutschen. Phänomene der Assimilation und Akkulturation werden besprochen‚ sowie die Entstehung der deutschen Sprache gestreift. Das Kapitel endet mit der klugen Bemerkung‚ daß sowohl »physische Gestaltungskräfte in Form einer stammesübergreifenden Reichsstruktur« im Verbund mit geistigen Prinzipien‚ nämlich gemeinsame Sprache und geteilte Geschichte‚ zusammenwirken mußten‚ um das deutsche Volk als »Ethnos« entstehen zu lassen. Eine einseitige Festlegung auf Rassenmerkmale‚ Siedlungsraum‚ politische Struktur oder gar – horribile dictu! – genetische Merkmale ist einer solchen Anschauung zur Ethnogenese völlig fremd.
Mit ideologischen Absichten herbeigeführte und herbeigeschriebene Begriffsverfälschungen sind‚ das ist für kritische Zeitgenossen nichts neues‚ an der Tagesordnung. Ein bekannter amerikanischer Philosoph (Harry Frankfurt) nennt solche wahrheitsferne‚ aber dennoch nicht direkt der Lüge zu bezichtigende Redeweise »bullshit« (zu deutsch: leeres Gerede‚ Geschwätz; gemeint ist das implizierte Verschweigen von etwas wichtigem‚ der eigentlichen Sache zugrundeligendem) und schrieb eine lesenswerte kurze Abhandlung gleichnamigen Titels darüber. Mit diesem Buch landete er einen Bestseller‚ was darauf hindeutet‚ daß seine Studie dem Unbehagen einer großen Masse aus der Seele spricht. Dieses Prinzip scheint dennoch seit jeher fester Bestandteil der jeweils herrschenden medialen »Kultur« zu sein. Der Rezensent unterschrieb dieser Tage eine Petition‚ in der sich eine bekannte und verdiente Umweltschutzorganisation gegen die von der Uno proklamierte Minimal-Definition eines Waldes als Baumbedeckung (welche nichts über den Wert und die Artenvielfalt einer solchen Vegetationsdecke aussagt)‚ wendet‚ um damit gegen die Sanktionierung des Ersatzes von Primärwald durch Plantagenwald (besonders in den Tropen) Stellung zu beziehen. Es mag zwar hergeholt klingen‚ aber der Bezug zu den Mechanismen und Trägern der Begriffsverwirrung um den Ethnos liegt auf der Hand.
Böttgers Stil läßt manchmal rhapsodisch die Vortragsvorlage durchscheinen‚ oft schreibt er überquellend vor Information und mancher geschichtliche Vergleich‚ so die Rekursion auf den Untergang des Römischen Reiches‚ wirkt möglicherweise etwas abgegriffen. Auch hätte ein gründliches Lektorat die Zahl der Flüchtigkeitsfehler erheblich minimieren können. Dies sind einige kleine Punkte einer wohlwollenden Kritik. Der Rezensent versteht mithin das Buch als ein Aufruf‚ eingefahrene Denkmuster und Vorstellung über den Ethnos‚ die ethnische Zugehörigkeit etc. abzulegen‚ was übrigens auch einschließt‚ die klischeehaft geführte Debatte um sog. »rechte« oder »linke« Positionen aufzugeben. Ein Aufruf‚ der nicht nur in der hier skizzierten Problematik wohl täte.

Böttger‚ Christian: Ethnos. Der Nebel um den Volksbegriff. 2014. 408 S. ISBN 978-3-938176-50-4 Lindenbaum-Verlag Gb. 24‚80 €

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