Zwischen Wartburg und Wewelsburg
(Wolfgang Schühly)

In zehn ausführlichen biographischen Essays widmet sich Georg Milzner‚ der als ärztlicher Psychologe‚ Schriftsteller und Bewußtseinsforscher bekannt ist‚ geistig produktiven Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts zu‚ welche einen oft nicht unbedeutenden Teil ihrer Werke in der Zeit des Nationalsozialismus schufen und deren Nähe zum nationalsozialistischen Regime eine Verirrung bedeutete‚ die ihnen später große Schwierigkeiten einbrachte. Dieser biographische Reigen‚ in dem insbesondere auch die geistige Leistung und Wirkung der von Milzner als "Verstrickten" bezeichneten Personen beleuchtet werden‚ umfaßt sowohl heute noch bekannte und rezipierte Autoren wie Martin Heidegger‚ Carl Schmitt‚ Carl Gustav Jung‚ Ernst Jünger und Gottfried Benn‚ andererseits heute kaum mehr wahrgenommene Gestalten wie Josef Weinheber‚ Leo Weismantel‚ Agnes Miegel‚ Lulu von Strauß und Torney und Ina Seidel. Der Autor teilt sie in die Gruppen der Gelehrten‚ Schriftsteller und Bardinnen ein und es geht ihm darum‚ bei den oben Erwähnten Art und Grad der Verwicklung in den Nationalsozialismus darzustellen und zu interpretieren. Milzner spürt den Biographien dieser durch einen ausgesprochenen Drang zum Geistigen‚ wenn auch auf ganz unterschiedlichen Gebieten‚ gezeichneten Persönlichkeiten nach‚ weil er von den bisherigen Versuchen‚ die "Positionierung führender Intellektueller zum Nationalsozialismus" zu beschreiben nicht überzeugt ist.
Milzner bedient sich bei seinen Ausführungen gerne der Metapher von der Wartburg als dem Ideal des deutschen Geistes und seiner Kulturausprägung und der Wewelsburg als eines "düsteren Gegenübers"‚ einer durch die SS‚ insbesondere durch Himmler für "esoterische Experimente" genutzen Stätte der Dämonie. Der Titel "Zwischen Wartburg und Wewelsburg" verweist somit auf die Größe und Gefährdung des Geistes‚ zumal des deutschen. Diese tiefen‚ mit psychologisch einfühlender Feder angefertigten Porträts stehen weit über dem‚ was üblicherweise von Biographien zu erwarten ist‚ zumal wenn es sich um heute verfemte Autoren handelt. Freilich betätigt sich Milzner nicht als Erfüllungsgehilfe eines "political correctness" einfordernden Zeitgeistes. Im Gegenteil‚ seine Ausführungen sind höchst originär und zeugen von einem alle geistigen Bereiche durchdringenden hohen Anspruch im Umgang mit seinem jeweiligen Forschungsgegenstand. Oft sind seine biographischen Aperçus zyklisch aufgebaut‚ in dem zu Anfang eine Frage oder These zunächst unvermutet und beinahe zusammenhanglos in den Raum gestellt wird‚ deren Bedeutung sich aber im Verlauf des Lesens ergibt und die am Schluß reminisziert wird.
Milzners Einfühlung in die jeweiligen Lebenswege geht so weit‚ daß er z.T. mit hinzugedachten Personen arbeitet‚ die – hätten sie dem verstrickten Protagonisten zur rechten Zeit zur Seite gestanden – womöglich ihn vor Schlimmerem bewahren hätten können. Mit dieser eigenen Technik gelingt ihm mithin eine gänzlich neue Perspektive‚ sodaß Porträts fernab von Klischees entstehen. Mit dieser Technik nähert er sich auch heiklen Biographien‚ wie z.B. der Carl Schmitts und Josef Weinhebers und so schimmert der auf Heilung bedachte Blick des Arztes hier durch. Tiefenschichten werden ausgeleuchtet‚ die zuvor nicht ohne weiteres erkennbar waren. Milzner‚ der diplomierter Psychologe ist und große therapeutische Erfahrung mit Hypnose besitzt‚ zielt mit seiner Herangehensweise auf einen mythischen Kern einer jeden Vita ab. Er geht den oftmals verschlungenen und brüchigen Weg der persönlichen Entwicklung mit Verstand und Verständnis mit und gelangt so zum Kern des Schöpferischen wie auch zur Deutung seiner Verstrickung. Potentielle‚ aber nicht verwirklichte Lösungsansätze für die Verirrungen so mancher Biographie scheinen kurz auf; Milzner träumt den ein oder anderen Lebensweg weiter. Er auferlegt sich sozusagen eine Art Verpflichtung zur Sympathie. Damit erkennt er die Vereinzelung und die oft große Tragik in den Lebensentwürfen seiner Biographierten. Darin geht er weit über das‚ was die sog. Materialbiographen leisten‚ hinaus. Und Milzners Ganzheitlichkeit verdankt sich so ein neuer Blickwinkel auf Grad der Gefährdung und Verstrickung‚ was den menschlichen Zugang zu den oft schwierigen Biographien möglich macht.
Unbestritten ist Milzner in seinen Essays ein Meister der Sprache und des Stils‚ was zu einem hohen Lesegenuß beiträgt. Die Tiefe seiner Betrachtungen zeugt von einer intensiven Durchdringung des Gegenstandes. Seine manchmal recht lang geratenen Essays lockert er durch eingestreute exkurshafte Querverweise auf‚ die oft ungewöhnlichen Assoziationen entspringen. Details hierzu mögen der eigenen Lektüre des Leser anempfohlen sein. Alles in allem hält dieses Buch seinem hohen Anspruch‚ der im Vorwort formuliert wird‚ stand: Anhand ausgewählter Exponenten wesenhaft auszuloten‚ wie "deutscher Geist im Verhältnis zum Nationalsozialismus wirkte". Dem anspruchsvollen Leser wird die Lektüre neben einer Fülle biographischer Details neue Perspektiven zum Verständnis der Verirrungen einiger z.T. nicht nur zu jener Epoche bedeutender deutscher Geister geben.

Milzner‚ Georg: Zwischen Wartburg und Wewelsburg. Deutscher Geist und Nationalsozialismus. Zehn Porträts. 2011. 529 S. ISBN 978-3-926370-54-9 Arnshaugk Gb. 42‚– €

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